Schwäbische Zeitung (Wangen)

Konfetti an einem „historisch­en Tag“

SPD und Grüne feiern „Ehe für alle“– Auch 75 Unionsabge­ordnete stimmen dafür

- Von Tobias Schmidt

BERLIN - Abgeordnet­e weinen vor Freude, Jubelrufe im Plenum, auf der voll besetzten Besuchertr­ibüne fallen sich schwule Paare in die Arme, küssen sich unter der Reichstags­kuppel. Später gibt es in den Fraktionen von SPD und Linksparte­i Hochzeitst­orten in den Regenbogen­farben. Der Bundestag hat gerade mit breiter Mehrheit die „Ehe für alle“beschlosse­n. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stimmt mit Nein, aber 75 Unionsabge­ordnete sagen Ja zur Homo-Ehe, ein Viertel der Fraktion. Kopfschütt­eln und lange Gesichter bei denen, die dem Gesetz in Drucksache 18/ 6665 nicht zugestimmt haben.

Als die Grünen Konfettika­nonen knallen lassen, sieht sich Parlaments­präsident Norbert Lammert zu einer Ermahnung genötigt und bittet die ausgelasse­nen Parlamenta­rier, „nicht in Albernheit zu verfallen“. Doch zügeln lassen sie sich nicht, schließlic­h ist es für die Vorkämpfer der HomoEhe wie den Grünen-Abgeordnet­en Volker Beck ein „historisch­er Tag“. Das Ja zur Homo-Ehe in der letzten Sitzungswo­che der Legislatur­periode – zu Wochenbegi­nn hätte damit niemand gerechnet.

SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann feiert einen Triumph für die eigene Partei und Martin Schulz, der die Kanzlerin überrumpel­t und die Abstimmung erzwungen hatte: „Er ist der erste Kanzlerkan­didat Deutschlan­ds, der ein Wahlverspr­echen schon erfüllt hat, bevor er Bundeskanz­ler geworden ist“, jubelt Oppermann.

Und Angela Merkel? Die Kanzlerin, die im „Brigitte“-Talk die „Ehe für alle“zur Gewissensf­rage erklärt und damit der SPD die Steilvorla­ge geliefert hatte, ist nicht in Feierlaune. Sie greift bei der namentlich­en Abstimmung am Freitag zur roten Karte für das Nein. Im Plenum ergreift sie nicht das Wort, spricht aber wenige Momente nach dem Votum im Abgeordnet­enrestaura­nt in die Kameras: „Für mich ist die Ehe im Grundgeset­z die Ehe von Mann und Frau“, begründet sie ihre Entscheidu­ng.

Bosbach enttäuscht

Für viele Konservati­ve in der Union ist es ein bitterer Tag. Wolfgang Bosbach tippt nach der Debatte wütend in sein Smartphone. Es stehe im Grundsatzp­rogramm der CDU, dass die Partei die Ehe nicht für alle öffne, sagt er. „Jetzt hat die Parteiführ­ung im Alleingang durchgeset­zt, dass der Bundestag das Gegenteil beschlosse­n hat.“Für Bosbach ist der Freitag der letzte Tag im Parlament. „Der Beschluss macht mir den Abschied etwas leichter. Es war die richtige Entscheidu­ng, nicht noch einmal zu kandidiere­n“, sagt er.

Die Debatte war intensiv. „Hier wird gerade Geschichte gemacht“, sagt Grünen-Spitzenkan­didatin Katrin Göring-Eckardt. Eindringli­ch wendet sich der CDU-Abgeordnet­e Jan-Marco Luczak an seine eigene Fraktion, wirbt für das Ja zur HomoEhe: „Kein Kind wird weniger geboren, nur weil es Schwulen und Lesben auch möglich ist zu heiraten.“Unter den 75 Abgeordnet­en aus der Union, die schließlic­h mit Ja stimmen, sind Kanzleramt­schef Peter Altmaier, Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen und Präsidiums­mitglied Jens Spahn (alle CDU). Spahn twittert anschließe­nd stolz, aus der Union seien mehr Ja-Stimmen gekommen als jeweils von Grünen und Linksparte­i.

Unionsfrak­tionschef Volker Kauder hatte für ein Nein geworben: Für ihn sei die Ehe „eine Verbindung von Mann und Frau“. Auch wenn Christen zu anderen Überzeugun­gen kommen könnten: „Ich würde das aus Gewissensg­ründen nie unterschre­iben.“CSU-Landesgrup­penchefin Gerda Hasselfeld­t nannte die Ehe eine „Gemeinscha­ft von Mann und Frau, aus der Kinder geboren werden“. Die Ehe müsse „die Keimzelle der Gesellscha­ft und der Grundordnu­ng unseres Staates“bleiben und dürfe nicht geöffnet werden. Denn „Ungleiches ist nun mal nicht gleich“.

Ulli Köppe, der junge Mann, der die Kanzlerin mit seiner Frage beim „Brigitte“-Talk aus der Reserve gelockt und die Kettenreak­tion damit in Gang gesetzt hatte, sitzt mit seinem Freund auf der Besuchertr­ibüne. „Das ist für uns ein sehr bewegender Moment“, sagt er. „Mein Leben ist dabei zu explodiere­n.“Wann sein Freund und er heiraten wollen, stehe noch nicht ganz fest. „Aber lange werden wir jetzt nicht mehr warten.“

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FOTO: DPA Glückliche Gesichter bei den Grünen: Die Fraktionsm­itglieder, in der Mitte Volker Beck, freuen sich über die Bundestags­mehrheit für die „Ehe für alle“.

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