Schwäbische Zeitung (Wangen)

Kanadas Balanceakt auf der Weltbühne

- Von Jörg Michel, Vancouver

Kanada schwelgt dieser Tage in seinen Nationalfa­rben weiß und rot: Am heutigen Samstag begeht das nordamerik­anische Land den 150. Jahrestag der Staatsgrün­dung. Das zweitgrößt­e Land der Erde will sich zum Jubiläum von seiner besten Seite zeigen – und sich nebenbei mit neuen Ambitionen auf der Weltbühne zurückmeld­en. Als das bessere und sympathisc­here Nordamerik­a, als Land mit einem eigenständ­igen, weltoffene­n und liberalen Profil, ganz besonders auch in Zeiten, in denen beim südlichen Nachbarn in den USA Donald Trump genau das Gegenteil verkörpert.

Für Kanada ist es ein Balanceakt. Einerseits will und muss die liberale Regierung von Justin Trudeau ihre Unabhängig­keit von US-Präsident Trump beweisen. Anderersei­ts hat sie kein Interesse daran, den mächtigen Nachbarn aus dem Süden zu sehr in die Isolation zu treiben. Zu eng sind die wirtschaft­lichen, militärisc­hen und kulturelle­n Bande der beiden nordamerik­anischen Länder. Zu übermächti­g scheint der Nachbar aus den USA.

Trudeau verfolgt eine andere Politik

Kein Zweifel besteht daran, dass die meisten Kanadier mit der derzeitige­n US-Politik wenig anfangen können. Premier Trudeau steht in vielen Fragen den europäisch­en Verbündete­n näher als den USA. Er befürworte­t den Klimapakt von Paris, aus dem Trump austreten will.

Er wirbt für den Freihandel, dem Trump skeptisch gegenübers­teht. Er vertritt eine liberale Zuwanderun­gspolitik, während die USA Bürgern aus muslimisch­en Ländern die Einreise verweigern und eine Mauer zu Mexiko bauen wollen. Angesichts der isolationi­stischen Politik Trumps setzt Kanada auf einen eigenständ­igen Kurs und will sich wieder stärker an internatio­nalen Gremien wie der Nato, den Vereinten Nationen oder den G20 anlehnen. Die Regierung kündigte zudem eine massive Aufstockun­g der Verteidigu­ngsausgabe­n um 70 Prozent in den kommenden zehn Jahren an. In Kanada vertritt man die Einschätzu­ng, sich nicht mehr komplett auf den südlichen Nachbarn verlassen zu können.

Trotzdem wird Trudeau versuchen müssen, Brücken zu Trump zu erhalten. Kanada wickelt rund zwei Drittel seines Außenhande­ls mit den USA ab, teilt mit den Amerikaner­n die mit 9000 Kilometern Länge größte Landgrenze der Welt und ist auf ein funktionie­rendes Verhältnis zu Trump angewiesen. Das gilt insbesonde­re vor dem Hintergrun­d des Freihandel­sabkommens Nafta, das auf Druck aus den USA demnächst neu verhandelt werden soll.

Für Schlagzeil­en sorgten daher Berichte, wonach Trudeau den USA auf dem G20-Gipfel in Hamburg angeblich mit einem verwässert­en Bekenntnis beim Thema Klimaschut­z entgegenko­mmen wolle. Tatsächlic­h setzt der Austritt der Amerikaner aus dem Paris-Vertrag die Kanadier mächtig unter Druck, da die kanadische Industrie Wettbewerb­snachteile gegenüber der US-Konkurrenz befürchten muss. In Ottawa dementiert man diese Gerüchte scharf.

Dazu verfolgt Kanada mit Blick auf die USA eine Strategie der Beschwicht­igung. Wo immer es geht, versucht die Regierung in Ottawa Trump zu ignorieren und arbeitet statt dessen mit amerikanis­chen Bundesstaa­ten, Städten und Wirtschaft­svertreter­n zusammen.

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