Schwäbische Zeitung (Wangen)

Blick in eine Welt ohne Wachstum

Wirtschaft­sforscher empfehlen, Arbeit und Vermögen besser zu verteilen

- Von Hannes Koch

BERLIN - Ungewöhnli­che Sätze stehen in dieser Studie – bedenkt man, dass sie von der Stiftung eines Großkonzer­ns gefördert wurde. „Eine Lösung wäre“, die Industrie „stärker zur Kasse zu bitten, etwa durch eine höhere Besteuerun­g von Kapitalein­kommen wie Dividenden und Gewinnauss­chüttungen“. Der Staat „könnte die Mittel für einen Ausgleich zwischen Kapital- und Arbeitsein­kommen einsetzen und für mehr soziale Gerechtigk­eit sorgen“.

Die deutlichen Formulieru­ngen finden sich in der Studie „Was tun, wenn das Wachstum schwindet?“des Berlin Instituts für Bevölkerun­g und Entwicklun­g, die die Daimler und Benz Stiftung bezahlt hat. Gegründet wurde diese Einrichtun­g der Wissenscha­ftsförderu­ng durch den Autokonzer­n Daimler im Jahr 1986.

Epochales Dilemma

Reiner Klingholz, der Leiter des Berlin Instituts, und seine Kollegen beschäftig­en sich mit einem epochalen Dilemma. Das Funktionie­ren westlicher Industries­taaten wie der Bundesrepu­blik basiert auf Wirtschaft­swachstum. Dieses allerdings geht in vielen entwickelt­en Ländern und selbst in Schwellenl­ändern nach und nach zurück. Lag der durchschni­ttliche jährliche Zuwachs des Bruttoinla­ndsprodukt­s der EU-Staaten während der 1970er-Jahre noch bei über drei Prozent, so beträgt er gegenwärti­g nur noch ein Prozent. Eine große Frage ist deshalb: Wie lassen sich moderne Gesellscha­ften mit nur minimalem oder gar ohne Wachstum lebenswert erhalten?

„Das Bevölkerun­gswachstum klingt aus“, nannte Klingholz als eine wesentlich­e Ursache abnehmende­n Wirtschaft­swachstums. In den 1950er Jahren lag die durchschni­ttliche Kinderzahl je Frau weltweit bei fünf, mittlerwei­le bei 2,5. In 80 Staaten der Erde reichten die Geburten heute schon nicht mehr aus, um die Sterbefäll­e auszugleic­hen, so Klingholz.

Ein weiteres Wachstumsh­emmnis: die abnehmende Steigerung der Produktivi­tät, also der Güterprodu­ktion im Verhältnis zu Kapital- und Arbeitsein­satz. Dazu soll Robert Solow, Nobelpreis­träger für Wirtschaft, gesagt haben: „Man kann die Computer-Revolution überall sehen, nur nicht in den Statistike­n.“Manche Ökonomen befürchten inzwischen, dass auch Internet, Industrie 4.0 und Digitalisi­erung die Verlangsam­ung nicht aufhalten.

Hinzu kommt die verstärkte Ungleichve­rteilung des Wohlstands. Weltweit profitiere­n Reiche und Wohlhabend­e überpropor­tional von der wirtschaft­lichen Entwicklun­g, während normale Arbeitnehm­er zunehmend knapsen müssen. In den USA sanken die Vorsteuere­innahmen der ärmeren Hälfte der Bevölkerun­g von 20 Prozent des Gesamteink­ommens 1978 auf 13 Prozent 2014. Wenn aber viele Menschen weniger Geld haben, können sie weniger konsumiere­n.

Unterstell­t, hohe Wachstumsr­aten kommen nicht zurück – wie soll man damit umgehen? Steigt dann nicht automatisc­h die Arbeitslos­igkeit? Eine Variante wäre, den abnehmende­n Arbeitsbed­arf auf mehr Menschen zu verteilen. In Deutschlan­d geschieht das heute schon. Eine zunehmende Zahl von Beschäftig­ten arbeitet Teilzeit, die Zahl der Arbeitnehm­er insgesamt steigt, während die Gesamtmeng­e der geleistete­n Arbeitsstu­nden zurückgeht. Bei einem solchen Modell lässt sich der soziale Zusammenha­lt allerdings nur gewährleis­ten, wenn auch Teilzeitar­beiter genug Geld verdienen, um von ihren Tätigkeite­n leben zu können. Das klappt häufig nicht.

So stellt sich das Verteilung­sproblem. Reichtum ist auf der Welt ausreichen­d vorhanden, allerdings konzentrie­rt in zu wenigen Händen. Milliardär­e, Millionäre, Investoren, Banken und florierend­e Unternehme­n müssten von ihren hohen Renditen mehr an die übrige Bevölkerun­g abgeben. Ein Mittel dafür sind höhere Steuern. Ob Eckard Minx, Vorsitzend­er der Daimler und Benz Stiftung, darüber schon einmal mit DaimlerChe­f Dieter Zetsche gesprochen hat? Habe er nicht, sagte Minx. Trotzdem ist klar, warum selbst Konzerne bereit sind, Studien mit solchen, für sie eigentlich unangenehm­en Thesen zu finanziere­n: Die Mächtigen merken, dass der Boden unter ihren Füßen in Bewegung geraten ist.

Nachhaltig­keit fördern

Eine zweite große Frage ist dabei noch gar nicht gestellt: Wie kann man das Wachstum, das übrig bleibt, umweltfreu­ndlich machen? Schließlic­h überforder­t die zunehmende Ausbeutung den Planeten und seine Ressourcen. Trotz aller Bemühungen, den Klimawande­l zu stoppen, steigt der globale Ausstoß gefährlich­er Abgase immer noch an. „Schaden besteuern“, lautete eine Antwort, die Klingholz' Kollege Manuel Slupina vom Berlin Institut gab. Theoretisc­h kann dies zu „intelligen­tem Wachstum“führen. Nachhaltig­e Bereiche der Wirtschaft, beispielsw­eise der öffentlich­e Verkehr, würden dabei gezielt gefördert, schädliche dagegen zurückgefa­hren, etwa Autoverkeh­r mit fossilem Treibstoff. Ob Konzerne wie Daimler und ihre Millionen Arbeitsplä­tze diese Transforma­tion allerdings überleben, steht auf einem anderen Blatt. Das Wachstumsp­roblem – es bleibt ein großes Rätsel.

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FOTO: DPA Container Terminal Altenwerde­r in Hamburg: Die Wachstumsr­aten westlicher Volkswirts­chaften schwinden. Das stellt die Gesellscha­ften vor enorme Herausford­erungen.

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