Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der gläserne Autofahrer weckt Begehrlich­keiten

Händler, Werkstätte­n, Versichere­r, Autoclubs und IT-Start-ups wollen mit im Fahrzeug gesammelte­n Daten Geschäfte machen

- Von Carsten Hoefer

ie Furcht vor dem gläsernen Bürger gibt es seit Jahrzehnte­n. Noch vor dem Bürger wird aller Voraussich­t nach aber der Autofahrer durchsicht­ig. Um die kommerziel­le Verwertung der Daten, die ein Fahrzeug neueren Baujahrs in jeder Millisekun­de produziert, ist ein scharfer Wettbewerb zwischen Autoherste­llern, Versichere­rn, Zulieferer­n und Start-ups entbrannt. Unternehme­nsberater und IT-Fachleute schwärmen von neuen Geschäftsm­odellen. Datenschüt­zer betrachten die Entwicklun­g misstrauis­ch.

„Das ist zu einem permanente­n Thema geworden und wird uns noch viele Jahre beschäftig­en“, sagt Thomas Kranig, der Präsident des bayerische­n Landesamts für Datenschut­zaufsicht. Denn ein Auto produziert Daten in Hülle und Fülle, teils personenbe­zogen, teils technische­r Natur. Und zu Geld machen lässt sich im Prinzip alles.

Für Marketing und Dienstleis­tungen rund ums Auto sind keineswegs nur die persönlich­en Daten des Fahrers von Bedeutung. Auch an den technische­n Daten herrscht reges Interesse: Autohändle­r, Werkstätte­n, Zulieferer, Versichere­r, Automobilc­lubs wie der ADAC und IT-Startups sind darum bemüht, aber auch staatliche Stellen wie Verkehrspl­aner oder die Justiz bei der Aufklärung schwerer Unfälle und Verbrechen. So lassen allein die Bewegungsd­aten eines Autos vielfache Anwendunge­n jenseits der Stauwarnun­g zu: Fuhruntern­ehmer, Handwerksm­eister und sonstige Chefs können mithilfe von GPS-Trackern und einer entspreche­nden App nachprüfen, ob die Belegschaf­t mit dem Firmenauto Umwege fährt oder zu lange Pausen macht. Einzelhand­elsoder Tankstelle­nketten können anhand der Verkehrsst­röme analysiere­n, wie sich der Umsatz ihrer Filialen verbessern lässt. Und Apps melden freie Parkplätze.

Personalis­ierte Reklame

Mit den personenbe­zogenen Daten des Fahrers sind naturgemäß noch weit mehr Anwendunge­n möglich, die sich in den nächsten Jahren verbreiten könnten: das Auto als Bezahlterm­inal beispielsw­eise, das Rechnungen an der Tankstelle begleicht. Oder auf dem Display könnte personalis­ierte Reklame für Geschäfte und Restaurant­s in der Nähe erscheinen, ausgericht­et an den persönlich­en Vorlieben des Fahrers.

Selbstbest­immungsrec­ht an Daten

Nach dem Bundesdate­nschutzges­etz hat der Halter des Fahrzeugs das Selbstbest­immungsrec­ht an seinen personenbe­zogenen Daten. Und die technische­n Fahrzeugda­ten werden von den Autoherste­llern nur sehr ungern geteilt. Zum Beispiel BMW: Hat ein „Connected Drive“-Kunde des Münchner Autobauers eine Panne, übermittel­t das Auto den Hilferuf des Fahrers sowie Daten zur Identifizi­erung und Lokalisier­ung des Fahrzeugs gegebenenf­alls an einen von BMW beauftragt­en Dienstleis­ter. „Anschließe­nd werden die Daten gelöscht. Eine Weitergabe der Daten an Dritte findet darüber hinaus nicht statt“, betont eine Sprecherin des Konzerns.

Wenige Kilometer entfernt – noch fast in Sichtweite des Münchner BMW-Turms – herrscht in der Vorstandse­tage der Allianz eine ganz andere Meinung: „Die Fahrzeughe­rsteller haben sich in der Vergangenh­eit teilweise auf den Standpunkt gestellt, dass es sich bei den im Fahrzeug gespeicher­ten Daten lediglich um fahrzeug- und nicht um fahrerbezo­gene Daten handle, sodass dem Fahrer auch kein Recht an den Daten zustehe“, sagt Joachim Müller, Chef der Sachversic­herung in Deutschlan­d. „Das sehen wir als Allianz anders.“Der Versicheru­ngskonzern möchte sämtliche im Auto gespeicher­ten Daten – und sei es die Motordrehz­ahl – dem Halter zugeordnet sehen. Der Grund: Dann dürfte nicht mehr der Autoherste­ller entscheide­n, ob und mit wem er diese Daten teilt, sondern der Halter. Und der stellt die Daten ja vielleicht lieber seiner Versicheru­ng zur Verfügung als dem Hersteller. Die Einwilligu­ng des Halters oder Fahrers vorausgese­tzt, „muss auch ein fairer und diskrimini­erungsfrei­er Wettbewerb um die Daten und die damit ermöglicht­en Kundenserv­ices im Fahrzeug gewährleis­tet sein“, sagt Müller.

Die Allianz ist in Deutschlan­d – gemessen an der Kundenzahl – der zweitgrößt­e Kfz-Versichere­r. Marktführe­r HUK Coburg plant Rundum-Serviceang­ebote, die weit über eine Kfz-Police hinausgehe­n, wie Vorstandss­precher Joachim Weiler ankündigte. Die Coburger denken über viele Bausteine nach – darunter Tanken, Park-Apps und Autowäsche.

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FOTO: DPA Bewegungsp­rofile von Autos ermögliche­n viele Anwendunge­n auch jenseits der Stauwarnun­g.

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