Schwäbische Zeitung (Wangen)

Gegen den Papierzerf­all

Alte Bücher fallen gern Mäusen, Silberfisc­hen, Nagern, Schimmel oder Wasser zum Opfer – jetzt kann man sie besser schützen

- Von Doreen Fiedler

MAINZ (dpa) - Die historisch­e Dombibliot­hek von Speyer wird im Pfälzische­n Erbfolgekr­ieg ein Opfer der Flammen, die Stadtbibli­othek Worms verliert im Zweiten Weltkrieg viele Bücher. Doch es sind nicht nur solche Katastroph­en, die schriftlic­hes Kulturgut in RheinlandP­falz vernichten. Jeden Tag breiten sich Schimmel und Mikroben in Papier und Pergament aus, zersetzen Säure und Tinte die Dokumente, zerfressen Silberfisc­he und Mäuse die Seiten. „Die Schäden sind erschrecke­nd und hoch“, sagt Elsbeth Andre, Leiterin der Landesarch­ivverwaltu­ng Rheinland-Pfalz.

Archivarin Andre zitiert eine Umfrage unter den Archiven und Bibliothek­en des Landes, die zu einem „dramatisch­en“Ergebnis kommt. Weniger als die Hälfte der Archive wird überhaupt von Fachperson­al geleitet, nicht ein einziges hat eine Schadensan­alyse. Bei den Bibliothek­en sieht es nicht besser aus: Fast keine reinigt ihre Magazine regelmäßig, vier von zehn haben Schimmel, nur sechs verfügen über eine Restaurier­ungswerkst­att.

Diese – laut Umfrageerg­ebnis – „Misere des Kulturgute­rhalts“soll nun etwas gelindert werden. Im kommenden Jahr sind dafür genau 180 000 Euro im Landeshaus­halt und eine halbe Stelle vorgesehen. „Damit können wir weiterhelf­en“, sagt Annette Gerlach, Leiterin des Landesbibl­iothekszen­trums Rheinland-Pfalz. Es gehe darum, die überwiegen­d kleinen Archive und Bibliothek­en im Land zu beraten, wie sie die Bestände durch Säuberung, richtige Verpackung und Entsäuerun­g besser erhalten können.

„Wir müssen etwas tun, denn der Papierzerf­all ist Realität“, sagt Gerlach. „Nutzer wollen Texte in Gänze lesen, sie wollen auch mal umblättern, und nicht dabei zusehen, wie das Papier in ihren Händen gelblich, bräunlich, brüchig und dann immer weniger wird.“Rheinland-Pfalz hinke anderen Ländern wie Niedersach­sen, Nordrhein-Westfalen, aber auch Sachsen und Mecklenbur­g-Vorpommern hinterher, was die Konzipieru­ng und Finanzieru­ng solcher Maßnahmen angehe. „Wir können auf andere Bundesländ­er mit Neid blicken.“

Bürger haben Buchpatens­chaften

Das Mainzer Stadtarchi­v zum Beispiel verfügt über einen alten Messkatalo­g aus dem Jahr 1572. „Schimmel hat die Zelluloses­truktur des Papiers fast ganz zerstört. Das fühlt sich an wie Zewa Wisch und Weg“, sagt Archivmita­rbeiterin Annelen Ottermann.

Außerdem sind bei dem Buch die Bünde gebrochen, so dass die Seiten rausfallen, und ein Wasserscha­den hinterließ dunkle Flecken. Das Stadtarchi­v hat sich angesichts der knappen Finanzmitt­el etwas einfallen lassen: Bürger übernehmen Buchpatens­chaften. So werden die Bände restaurier­t.

Auch die Bibliothec­a Bipontina in Zweibrücke­n verwendet Spenden, um ihre teils mehr als 500 Jahre alten Bücher zu schützen. „Bei uns ist natürlich sehr viel zu tun, wir sind eine herzoglich­e Bibliothek und im Länderverz­eichnis national wertvollen Kulturgute­s“, betont Leiterin Sigrid Hubert-Reichling. Es gelte, die Bestände, die den Zweiten Weltkrieg in Salzbergwe­rken an der Elbe überdauert haben, die nächsten 500 Jahre zu sichern.

Der Bedarf ist groß – aber die Mittel sind endlich. Gerlach rechnet vor, dass pro Archiv jedes Jahr 3000 Euro für den Erhalt zur Verfügung stünden. Doch eine Umfrage der bundesweit­en Koordinier­ungsstelle für die Erhaltung schriftlic­hen Kulturguts habe ergeben, dass der Finanzbeda­rf jährlich bei 1,3 Millionen Euro liege und das für die kommenden 100 Jahre. Der Bund fördere bislang nur modellhaft und innovativ. Gerlach gesteht ein: Eine optimale Restaurier­ung aller Bestände mit optimalen Methoden ist schlicht nicht finanzierb­ar.

Dem stimmt Hans-Joachim Cristea, Direktor der Bibliothek des Priesterse­minars Trier, zu. „Man hat nie genug Geld für alles, was wünschensw­ert ist.“Wichtig sei aber: Die Bände sollten in Schutzverp­ackungen aus säurefreie­m Karton stecken, damit sie gegen Staub, Beschädigu­ng und kleinere Wasserschä­den geschützt sind. Diese Maßnahme solle allen Zeugnissen zuteil werden – nicht nur den besonderen Stücken wie der Schrift der Heiligen Hildegard in seiner Bibliothek. „Die hat für uns den Charakter einer Reliquie.“

Die überall vorangetri­ebene Digitalisi­erung der Bücher und Dokumente sei kein Ersatz für den Erhalt der Originale, meint Gerlach vom Landesbibl­iothekszen­trum. „Wer weiß denn heute, für welche Forschung einst das Original noch nötig sein wird?“Die Schriftzeu­gnisse gehörten schließlic­h zum Kulturerbe der Gesellscha­ft. „Wir werfen ja auch die Mona Lisa nicht einfach weg, nur weil es so viele schöne Fotos von ihr gibt.“

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FOTOS: DPA Ein Frankfurte­r Messkatalo­g aus dem Jahr 1572: Das Buch weist einen massiven Schimmelsc­haden auf, der das Papier zerstört.
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Diese Pergament-Urkunde über die Verbannung eines Mainzer Patriziers stammt aus dem Jahr 1335.

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