Schwäbische Zeitung (Wangen)

Tomatensch­lacht und Teufelsspr­ung

Kaum ein anderes Volk ist im Sommer so in Feierlaune wie die Spanier: Kuriose Sommerfest­ivals

- Von Carola Frentzen

MADRID (dpa) - Im spanischen Örtchen Buñol sieht es aus, als sei eine Ketchup-Flasche explodiert. Zehntausen­de Gemüsefreu­nde haben sich zuvor eine Stunde lang tonnenweis­e überreife Tomaten um die Ohren gehauen. „La Tomatina“heißt das Spektakel, das jedes Jahr am letzten Mittwoch des Augusts in der Gemeinde nahe Valencia abgehalten wird. Hinter dem niedlichen Namen verbirgt sich eine handfeste Lebensmitt­elschlacht. Die Organisato­ren raten deshalb, nicht unvorberei­tet in das matschige Treiben einzugreif­en: „Zieht euch was Altes an“, warnen sie auf der Webseite. Festes Schuhwerk, eine Taucherbri­lle und eine wasserfest­e Kamera seien ebenfalls zu empfehlen.

An die Ursprünge der Tomatina erinnert sich niemand mehr so genau. Vor etwa 70 Jahren wurde die Tradition geboren, so viel scheint sicher. Eine Version besagt, dass damals eine Gruppe Jugendlich­er einen Straßenmus­ikanten geärgert haben soll, der daraufhin zu Tomaten griff, um sich zu wehren. Andere meinen, die Tradition sei bei einem Festumzug geboren, bei dem Jugendlich­e die als Riesen verkleidet­en Teilnehmer mit Tomaten bewarfen, weil sie vom Spektakel ausgeschlo­ssen waren.

Unter der strengen Franco-Diktatur wurde die Tomatina Mitte der 1950er-Jahre zeitweise verboten, erinnert sich Bürgermeis­ter Rafa Pérez. Aber sie fand wieder ins Leben zurück und wurde 2002 zu einem „Fest von nationalem Interesse“erklärt. „Als Bürger bin ich sehr stolz auf diese Fiesta“, meint Pérez.

Heute kommen Feierwütig­e aus aller Welt, um dem Tomatenkri­eg beizuwohne­n – „das nahm zeitweise so sehr Überhand, dass die Teilnehmer­zahl 2013 auf 22 000 begrenzt wurde“.s 60 Prozent seien Ausländer, auch Deutsche reisten mit Vorliebe an. Dabei ist nach genau 60 Minuten schon wieder Schluss mit lustig.

In Spanien gibt es Tausende kuriose Festivals, die sich bei der Bevölkerun­g ebenso wie bei Touristen großer Beliebthei­t erfreuen. Manche sprechen von 25 000 „Fiestas“– einige weltbekann­t, wie etwa die Stierhatz von Pamplona, bei der im Juli aufgescheu­chte Bullen durch die von Schaulusti­gen bevölkerte­n Gassen der baskischen Gemeinde getrieben werden. Andere Feste sind höchst skurril – und auch ein wenig gruselig.

Auferstehu­ngsfeier

Jedes Jahr am 29. Juli deutet im Örtchen As Neves in der galicische­n Provinz Pontevedra alles auf eine Beerdigung hin. Aber der Schein trügt. Es ist der Tag der Heiligen Martha von Bethanien, der Schwester von Lazarus, der laut Bibel wenige Tage nach seinem Tod von Jesus wieder zum Leben erweckt wurde. Auch in As Neves geht es um „Auferstand­ene“, um Mitbürger, die sterbenskr­ank waren oder Nahtoderfa­hrungen hatten und wieder gesund geworden sind.

Die Genesenen legen sich aus Dankbarkei­t mit gefalteten Händen in offene Särge, die dann von starken Männern durchs Dorf getragen werden. „Es handelt sich um eine Art Opfer, das sie der Jungfrau darbringen.“Und die morbide Tradition locke auch viele Schaulusti­ge an.

In Castrillo de Murcia bei Burgos geht es hingegen um Babys und um einen sprungwüti­gen Teufel. Am Sonntag nach Fronleichn­am werden unter den Augen zahlreiche­r Neugierige­r mehrere Neugeboren­e und Kleinkinde­r auf eine große Matratze gelegt. Dann kommt der gelb-rot gekleidete Beelzebub, der hier „El Colacho“heißt, nimmt Anlauf – und macht einen mächtigen Satz über die Kinder hinweg. Das sieht nicht ungefährli­ch aus. Seit 1620 gibt es den seltsamen Brauch, der die Kinder vor Unheil und Krankheit schützen soll.

Andernorts geht es mehr um das leibliche Wohl und weniger um Religion und Aberglaube­n. In der berühmten Weinregion Rioja bespritzen sich Leute mit Tausenden Litern „Vino tinto“(Rotwein), und erst Mitte August bewarfen und beschmiert­en sich am Zurriola-Strand in San Sebastián Naschkatze­n aus aller Welt mit 500 Litern Sahne. Ekliger geht es in El Puig bei Valencia zu.

„La batalla de ratas“heißt das Volksfest – der „Rattenkrie­g“. Der Name ist Programm: Tatsächlic­h werden hier Ratten in Tongefäße gesteckt, er-

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FOTOS: DPA Ein als „Colacho“verkleidet­er Mann springt über Babys.
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Beim Sargfestiv­al legen sich ehemals Kranke in die Särge.

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