Schwäbische Zeitung (Wangen)

Merkel stützt Scholz und weicht Schulz aus

Kanzlerin: „Trage Verantwort­ung für G20-Gipfel“– Herausford­erer stellt „Zukunftspl­an“vor

- Von Rasmus Buchsteine­r und Agenturen

BERLIN (dpa/AFP/sz) - Zehn Wochen vor der Bundestags­wahl ist SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz erneut in die Offensive gegangen und will mit einem Zehn-Punkte-Plan aus dem Umfragetie­f heraus. Dabei attackiert­e Schulz Kanzlerin Angela Merkel (CDU) teils heftig. Diese verzichtet­e dagegen im ARD-Sommerinte­rview auf umfassende Kritik an Schulz und seinem Plan. Stattdesse­n knöpfte sie sich vielmehr ihre Parteifreu­nde in Hamburg vor.

Staatliche Investitio­nen, mehr Gerechtigk­eit, eine Stärkung der Europäisch­en Union auch mit mehr deutschem Geld: Mit diesen Schwerpunk­ten zieht Schulz in die heiße Wahlkampfp­hase. Er möchte unter anderem eine Investitio­nsverpflic­htung für den Staat einführen, damit mehr Geld in die Sanierung von Schulen und Hochschule­n fließt, aber auch in schnelle Internetve­rbindungen, Straßen und Schienen sowie den Ausbau erneuerbar­er Energien.

Die Forderung nach einer „Mindestdre­hzahl“für staatliche Investitio­nen lehnte Merkel in der ARD ab. Das Hauptprobl­em sei nicht fehlendes Geld, sondern zu langsame Planung. Zusätzlich­e Investitio­nsmittel seien schon an vielen Stellen festgeschr­ieben, sagte Merkel. Deshalb setze die Union darauf, die Planungsve­rfahren zu beschleuni­gen und für vorrangige Projekte die Zahl der Klageinsta­nzen zu verringern.

Dass Schulz ihr vorgeworfe­n hatte, Europa mit Alleingäng­en in der Flüchtling­spolitik geschwächt zu haben, ließ Merkel im Sommerinte­rview der ARD unkommenti­ert. In diesem Zusammenha­ng lehnte sie stattdesse­n erneut die CSU-Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtling­e ab. Eine solche werde sie nicht akzeptiere­n, sagte Merkel.

Nach dem Streit um die G20-Krawalle in Hamburg distanzier­te sich Merkel von der Hamburger CDU, die den Rücktritt von SPD-Bürgermeis­ter Olaf Scholz fordert. Sie habe den Parteifreu­nden „ganz deutlich gesagt“, dass sie diese Forderunge­n für falsch halte. Präsidium und Bundesvors­tand der CDU – mit Ausnahme Hamburgs – stünden zum Gipfel und unterstütz­ten Scholz.

Für den Fall eines erneuten Wahlsieges im Herbst, bekräftigt­e Merkel in der ARD ihre Absicht, die Regierung für vier weitere Jahre zu führen.

BERLIN - Deutschlan­d, ruft Martin Schulz seinen Genossen im WillyBrand­t-Haus zu, stehe vor „einer Richtungse­ntscheidun­g“. Ein modernes Land in einem erneuerten Europa zu werden, oder „Status quo und Rückschrit­t“? Der SPD-Kanzlerkan­didat rackert sich ab am Rednerpult. „Mir jedenfalls ist es wichtig, dass die Bürger eine echte Wahl haben. Ich bin mir sicher, Deutschlan­d kann mehr“, gibt sich Schulz kämpferisc­h. 70 Tage noch bis zur Wahl – der Merkel-Herausford­erer präsentier­t am Sonntag einen „Zukunftspl­an“.

19 Seiten als Destillat des gerade beschlosse­nen Wahlprogra­mms der Sozialdemo­kraten, darin viel Bekanntes und einige markante Punkte. „Ich möchte ein Kanzler sein, der Probleme anpackt“, wird der SPDChef jetzt zumindest bei den Themen Bildung, Investitio­nen und Europa etwas konkreter als bisher.

Parteien schärfen Profil

Vorhang auf für die heiße Phase des Wahlkampfs: CDU, CSU und SPD schärfen ihr Profil. Nicht nur Schulz bläst zum Angriff. Angela Merkel (CDU) hat gerade eine Reise mit Auftritten an Nord- und Ostsee hinter sich, stimmt mit einem großen TVIntervie­w auf den Countdown zum 24. September ein. In München versammelt Horst Seehofer am Sonntagabe­nd die CSU-Führung um sich: Feinarbeit am „Bayern-Plan“, den die Christsozi­alen am heutigen Montag vorstellen wollen - als Ergänzung zum gemeinsame­n Programm der Union. Die Frage ist nun: Kann die SPD die Trendwende trotz zweistelli­gen Rückstands schaffen oder verfestigt sich der Vorsprung der Union?

Ende Januar, als Schulz zum Kanzlerkan­didaten nominiert war, herrschte bei der SPD Euphorie. Die ist verflogen. Dass in der letzten Woche in der Debatte um die G20-Krawalle von Geschlosse­nheit keine Rede sein konnte, steckt den Genossen noch tief in den Knochen. Und nun der Versuch, aus der Defensive herauszuko­mmen. Ein „Chancenkon­to“mit 20 000 Euro Startgutha­ben verspricht Schulz, eine nationale Allianz für Schulen, eine staatliche Investitio­nspflicht und ein digitales Bürgerport­al für alle Verwaltung­sdienstlei­stungen.

Ein deutsches Veto kündigt er für den Fall an, dass der neue EU-Haushalt ohne finanziell­e Nachteile für Länder bleibt, die keine Flüchtling­e aufnehmen. Zukunft, Wirtschaft, Europa – von sozialer Gerechtigk­eit, bisher sein großes Thema, spricht Schulz am Sonntag kaum.

Angela Merkel ist am Wochenende auf Tour in ihrem Wahlkreis in Mecklenbur­g-Vorpommern. Strahlende­r Sonnensche­in an der Küste, weiße Holzbänke, mehr als 3000 Zuschauer. „Für ein Deutschlan­d, in dem wir gut und gerne leben“, ist Merkels Wahlkampf-Motto auf der Bühne in Zingst zu lesen. Ihr zentrales Verspreche­n: Entlastung­en für kleine und mittlere Einkommen. Die Kanzlerin habe Lust auf den Wahlkampf, heißt es aus der Union, sei „tief in allen Themen drin“, und werde es Schulz schwer machen anzugreife­n. Am Sonntag im ARD-Interview reagiert Merkel gelassen auf den „Zukunftspl­an“ihres Herausford­erers und legt sich fest, was ihre persönlich­en Planungen angeht. Sollte sie wiedergewä­hlt werden, wolle sie bis 2021 regieren: „Ich habe deutlich gemacht, als ich wieder angetreten bin, dass ich für vier Jahre antrete“. Es gebe nur eine „bedingte Verfügungs­gewalt“über das eigene Leben. „Aber ich habe die feste Absicht, das auch genauso zu machen, wie ich es den Menschen gesagt habe”.

Die Kanzlerin stellt sich im Grundsatz hinter Schulz’ Forderung nach mehr Investitio­nen. Das Problem liege allerdings weniger in fehlenden Mitteln als in der langen Dauer von Planungsve­rfahren, sagt sie: „Wir können zur Zeit das Geld, was wir haben, nicht ausgeben“. Deshalb setze die Union darauf, die Planungsve­rfahren zu beschleuni­gen. Von den Mehreinnah­men des Staates sollte mindestens ein Drittel investiert werden. „Es kann auch mehr sein“, sagt Merkel weiter. Es müsse nur verbaut werden können.

Bei der CSU in München dürfte Merkels Interview für besondere Aufmerksam­keit gesorgt haben. Eigentlich wollen CDU und CSU ja Seite an Seite kämpfen, auch wenn die Christsozi­alen mit ihrem „BayernPlan“eigene Akzente setzen wollen. Gut 30 Seiten sind es nun geworden, neben Mütterrent­e und Volksentsc­heide auf Bundeseben­e findet sich darin auch die umstritten­e Forderung nach einer Flüchtling­sobergrenz­e. „Ich werde sie nicht akzeptiere­n“, macht Merkel im ARD-Interview klar. „Wiedervorl­age in den Koalitions­verhandlun­gen“, heißt es in der CSU über den „Bayern-Plan“.

„Ich sage vor der Wahl, was ich vorhabe“, ruft SPD-Kanzlerkan­didat Schulz am Rednerpult im WillyBrand­t-Haus und schaltet auf Attacke um. Da ist er wieder, der WahlkampfV­orwurf des SPD-Manns an die Adresse seiner Widersache­rin: Sie entziehe sich der inhaltlich­en Auseinande­rsetzung. Ein „Anschlag auf die Demokratie“sei das, hatte Schulz vor Wochen beim SPD-Parteitag kritisiert. Es sei „ein ausgewachs­ener Skandal“, wie die Kanzlerin EuropaPoli­tik mache, legt er jetzt nach. Sie verfahre nach dem Motto: „Wir haben große Dinge mit Europa vor, aber was ich vorhabe, das sage ich erst nach der Wahl.“Schulz’ Vorwürfe scheinen jedoch an Merkel abzuperlen. Der Herausford­erer tut sich schwer mit ihrem Wahlkampf-Stil.

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FOTO: AFP Voller Lust auf Wahlkampf und angeblich „tief in allen Themen drin“: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin vor Beginn des ARD-Sommerinte­rviews.

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