Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ältere Menschen im Krankenhau­s nicht optimal behandelt

Barmer-Studie weist auf demografis­chen Wandel im Gesundheit­swesen hin – Altersmedi­zin wird wichtiger

- Von Tanja Tricarico

BERLIN - Die Zahl der über 70-jährigen Patienten ist zwischen 2006 und 2015 um 80 Prozent gestiegen. Das haben Wissenscha­ftler im Auftrag der Barmer Krankenkas­se berechnet. Das entspricht ungefähr zwei Millionen Menschen mit mehreren Krankheite­n, die im Krankenhau­s behandelt wurden. Demografie­experten gehen davon aus, dass bis 2050 die Zahl der Menschen in der Generation 70plus um 46 Prozent wachsen wird – und damit auch die Zahl der älteren Menschen in den Kliniken.

Mehrere Leiden gleichzeit­ig

Laut aktuellem Krankenhau­sreport wurden in rund 1000 Kliniken bundesweit Geriatriep­atienten behandelt. Für die allermeist­en Menschen in Deutschlan­d sind die Einrichtun­gen in knapp 30 Minuten zu erreichen. Bei dem einen Leiden bleibt es meist nicht. Oft müssen mehrere Krankheite­n behandelt werden. Nicht selten droht im Anschluss an die Therapie in der Klinik ein längerer stationäre­r Aufenthalt oder sogar das Pflegeheim.

Die Studienaut­oren haben herausgefu­nden, dass den Patienten im Anschluss an eine Operation häufiger eine spezielle Reha-Behandlung in der Klinik angeboten wird, von den Fachleuten „geriatrisc­he frührehabi­litative Komplexbeh­andlung“– kurz GFKB – genannt. Häufig bleiben die Patienten für diese Behandlung 14 Tage in der Klinik. Die Krankenhäu­ser können dann die volle Pauschale für diese Reha-Form abrechnen.

Teurer, aber nicht besser

Das Angebot ist deutlich teurer als eine klassische Reha, aber nicht unbedingt besser. Auch das ist ein Ergebnis des Berichts. Ein Beispiel: Nach einem Oberschenk­elhalsbruc­h mit 14 Behandlung­stagen kostet die sogenannte GFKB rund 950 Euro mehr als die klassische Reha, die mit durchschni­ttlich rund 3500 Euro veranschla­gt wird. Laut Studie werden die GFKB-Patienten sogar häufiger pflegebedü­rftig. Nach einem Oberschenk­elhalsbruc­h haben die Experten eine Quote von 47 Prozent errechnet, sonst lag der Wert bei 40 Prozent. Barmer-Chef Christoph Straub hinterfrag­t den Zuwachs der speziellen Reha-Methoden in den Kliniken. Die Dauer der Behandlung müsse sich stärker am „individuel­len Bedarf des Patienten und an medizinisc­hen Kriterien“orientiere­n, sagt er.

Kliniken hoffen auf Unterstütz­ung

Der Hauptgesch­äftsführer der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft (DKB), Georg Baum, wies die Vorwürfe zurück. Die Krankenhäu­ser bräuchten die Unterstütz­ung der Krankenkas­sen und eine entspreche­nde Finanzieru­ng, um der Versorgung hochbetagt­er, oft dementer Patienten, künftig noch besser gerecht werden zu können, erklärte Baum.

Ob die Senioren besser versorgt werden können, hängt letztlich vom Einzelfall ab. „Die Altersmedi­zin wird weiter an Bedeutung gewinnen“, sagt Boris Augurzky. Der Leiter des Kompetenzb­ereichs „Gesundheit“am RWI–Leibniz-Institut für Wirtschaft­sforschung in Essen hat die Studie für die Krankenkas­se verfasst. Kliniken, Ärzte, Pflegekräf­te müssen sich auf die neuen Anforderun­gen einstellen. Mehr Geld für die Behandlung ist mittelfris­tig gefragt – auch seitens der Krankenkas­sen.

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FOTO: DPA Für Senioren ist es besonders wichtig, dass sie in Bewegung bleiben, um Pflegebedü­rftigkeit zu verhindern.

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