Kämpferin
Ljudmila Alexejewa ist die Grande Dame der russischen Menschenrechtsbewegung. Am heutigen Donnerstag wird die unerschrockene Bürgerrechtlerin 90 Jahre alt. In letzter Zeit ist es ruhiger um sie geworden. An Demonstrationen nehme sie nicht mehr teil, wenn mit einem Polizeieinsatz zu rechnen sei, entschuldigte sie sich mit 85 Jahren. Sie sei zu klapprig, um dem Geschiebe der Polizei Stand zu halten, meinte damals die kleine drahtige Frau.
Noch immer mischt sie sich ein: Klar und unmissverständlich. Kommt Alexejewa heute seltener zu Wort, dann liegt das an der Atmosphäre im Land, die wenig politischen Widerspruch duldet. Sie ist eine jener russischen Persönlichkeiten, die angesichts erdrückender Übermacht von Unrecht Furchtlosigkeit beweisen, ohne sich als Helden zu gebärden. Schon 1968 gehörte die Bürgerrechtlerin zu einer Gruppe von Aufrechten in der Sowjetunion, die in Moskau gegen den Einmarsch der Roten Armee in die Tschechoslowakei demonstrierten.
Fast ein Jahrzehnt später musste die Archäologin die UdSSR verlassen. Hausdurchsuchungen und Berufsverbot gingen dem voraus. Sie ging in die USA. Nach der Schlussakte von Helsinki 1976 gründete sie mit Gleichgesinnten einen Moskauer Ableger der HelsinkiGruppe. Erst 1993 kehrte die Bürgerrechtlerin aus den USA nach Moskau zurück. Trotz Erniedrigung und Exil sei sie ein Mensch, der zum „Glücklichsein neige“, sagte sie einmal.
Vor der Unbeugsamkeit der alten Dame haben selbst die Männer im Kreml Respekt. 2015 kehrte Ljudmila Alexejewa in die Menschenrechtskommission beim Präsidenten zurück, die sie drei Jahre zuvor aus Protest gegen die Behinderung der Zivilgesellschaft verlassen hatte. Seither sind die Zeiten noch härter geworden. Dennoch sei der Menschenrechtsrat einer der wenigen Orte, wo sich noch etwas bewirken lasse, meint sie. „Wir sind ein Land, das nicht dafür gemacht wurde, ein normales Leben zu führen“, sagt Alexejewa. Klaus-Helge Donath