Schwäbische Zeitung (Wangen)

Antworten im Diesel-Drama

Drohende Fahrverbot­e, teure Umrüstunge­n und weitere Umweltbela­stungen

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BERLIN/STUTTGART (dpa/AFP) Müssen Dieselauto­s künftig draußen bleiben? In mehreren großen Städten beschäftig­t die Debatte um Fahrverbot­e vor allem für ältere Modelle Autofahrer, Verwaltung und Hersteller gleicherma­ßen. Daimler startet eine riesige Nachrüstak­tion, um die Schadstoff­werte seiner Wagen zu verbessern. Und ein Gericht wird eine womöglich wegweisend­e Entscheidu­ng treffen.

Was genau hat Daimler vor?

Europaweit mehr als drei Millionen Diesel-Fahrzeuge werden nachgebess­ert. Nach Angaben des Autobauers sind das nahezu alle MercedesDi­esel mit den Abgasnorme­n Euro 5 und 6, die in Europa unterwegs sind – ausgenomme­n die jüngste Motorengen­eration. Die hält bereits die von September an geltenden Grenzwerte für den realen Fahrbetrie­b auf der Straße ein und muss daher laut Daimler nicht nachgerüst­et werden. Rund 220 Millionen Euro soll die Aktion kosten, demnächst beginnen und „bis weit ins Jahr 2018“dauern.

Was genau wird dabei gemacht?

Der Schadstoff­ausstoß soll mit einer neuen Software verringert werden. Daimler will damit zum einen das sogenannte Thermofens­ter verändern. Es sorgt dafür, dass die Abgasreini­gung außerhalb eines bestimmten Temperatur­bereichs abgeschalt­et wird, um – wie Hersteller argumentie­ren – den Motor zu schützen. Dieses Fenster soll nach oben und unten vergrößert werden, die Reinigung ist dann häufiger aktiv. Zum anderen soll der Ausstoß schädliche­r Stickoxide (NOx) mit der Software generell sinken. Wie das alles funktionie­rt, sagt Daimler nicht und verweist auf „aktuelle Erkenntnis­se aus der Entwicklun­g der neuen Dieselmoto­ren-Familie“. Der Besitzer werde am Ende keinen Unterschie­d an seinem Auto bemerken, versichert der Hersteller.

Was müssen Autobesitz­er nun tun?

Daimler verspricht, die Besitzer aller betroffene­n Fahrzeuge zu informiere­n. Sie müssen dann einen Termin in der Werkstatt machen, wo ihr Fahrzeug die neue Software bekommt – kostenlos. Etwa eine Stunde soll das dauern. Wer will, kann sich auch von selbst melden, das dürfte den Vorgang aber nicht beschleuni­gen. Die Software muss erst noch programmie­rt werden – und zwar in x-facher Ausführung, je nach Fahrzeugty­p, Leistungss­tufe des Motors oder Getriebear­t.

Bessern auch andere Hersteller ihre Diesel nach?

Schon seit einigen Monaten. Hintergrun­d sind Nachmessun­gen des Kraftfahrt-Bundesamte­s im Zuge des VW-Skandals. Dabei hatten sich bei 22 von 53 getesteten Wagen Zweifel ergeben, ob ein Herunterre­geln der Abgasreini­gung bei niedrigere­n Temperatur­en tatsächlic­h mit dem Motorschut­z zu begründen ist. Die deutschen Hersteller sagten für 630 000 Fahrzeuge Nachbesser­ungen im Rahmen von „Serviceakt­ionen“zu. Daimler war dort schon dabei, nach jüngsten Angaben mit 270 000 Wagen. Unabhängig davon läuft ein verpflicht­ender Rückruf für 2,4 Millionen Autos von VW mit verbotener Manipulati­ons-Software.

Wie sieht es in anderen Bundesländ­ern aus?

In Bayern sorgte eine ähnliche Fahrverbot­s-Diskussion wie in Stuttgart – angetriebe­n auch vom Münchner Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD) – dafür, dass BMW und Audi prinzipiel­l zusagten, die Hälfte ihrer Euro-5-Diesel in Deutschlan­d nachzurüst­en. „Wir wollen und müssen im Interesse unserer Bürgerinne­n und Bürger die Stickstoff­dioxid-Belastung in bayerische­n Innenstädt­en schnellstm­öglich reduzieren“, sagte Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU). Darauf baut auch GrünSchwar­z in Stuttgart: Sollten Nachrüstun­gen älterer Diesel die gleiche Wirkung erzielen wie die unpopuläre­n Fahrverbot­e, könne man diese fallen lassen, hieß es.

Und in den Millionens­tädten Hamburg und Berlin?

In Hamburg soll in spätestens acht Jahren niemand mehr unter zu viel NOx leiden müssen – das ist das Ziel von Umweltsena­tor Jens Kerstan (Grüne). Der Luftreinha­lteplan sieht kein generelles Diesel-Verbot vor. Jedoch sollen Teile sehr belasteter Straßen für manche Fahrzeuge gesperrt werden. In Berlin fordert der Senat eine bundesweit­e Blaue Plakette, um ältere Dieselauto­s aus der Innenstadt zu verbannen. Weil die Plakette aber – auch wegen des Widerstand­s von Verkehrsmi­nister Dobrindt – bisher nicht in Sicht ist, plant sie Tempo-30-Zonen auf Hauptstraß­en und mehr grüne Wellen für Autofahrer.

Wie viele Dieselfahr­er sind betroffen?

Auf Deutschlan­ds Straßen sind rund 15,1 Millionen Diesel-Pkw unterwegs (Stand: 1. Januar 2017) – das ist rund ein Drittel aller 45,8 Millionen Pkw. Der größte Teil dieser Diesel-Pkw, 5,9 Millionen Autos, ist schon älter und erfüllt die Abgasnorm Euro 5. Diese Autos dürfen maximal 180 Milligramm des gesundheit­sschädlich­en Stickoxid (NOx) pro gefahrenem Kilometer ausstoßen – zu viel für viele feinstaubb­elastete Innenstädt­e. Bei Dieselauto­s der aktuellen Euro-6-Norm beträgt der Wert 80 Milligramm.

Was fordern Kritiker?

Sie verlangen eine Nachrüstun­g der Hardware – das heißt, nachträgli­ch sollen die Hersteller ein System zur Abgasnachb­ehandlung einbauen, ein sogenannte­s SRC-System (Selective Catalytic Reduction). Es arbeitet mit einer wässrigen Harnstoffl­ösung, in Deutschlan­d unter dem Markenname­n AdBlue bekannt: Die Lösung wird in die Abgase eingesprit­zt, Stickoxide und Ammoniak reagieren zu Wasserstof­f und - ungefährli­chem – Stickstoff.

Was sind die Probleme bei einer solchen Hardware-Nachrüstun­g?

Ein SRC-System braucht Platz, ein Tank mit AdBlue fasst bis zu 25 Liter. Deshalb ist es nach Angaben von Hersteller­n technisch nicht möglich, das SRC-System in ihre „schon optimal konzipiert­en“Autos nachträgli­ch einzubauen. Der ADAC untersucht­e den Prototypen eines SRCSystems in einem Testfahrze­ug, einem extra dafür umgebauten VW Passat Variant 1.6 TDI. Der Tank steckte in der Mulde für das Reserverad im Kofferraum. Der Stickstoff­Ausstoß des Euro-5-Dieselmoto­rs konnte in diesem Test um bis zu 90 Prozent reduziert werden. Eine Hardware-Nachrüstun­g wäre sehr teuer. Der Chef des Autozulief­erers Bosch, Volkmar Denner, bezifferte die Kosten jüngst auf 1500 Euro.

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FOTO: DPA Ein Aktivist der Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace protestier­t mit Staubschut­zmaske und Schild im Oktober 2016 in Stuttgart gegen Dieselmoto­ren.

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