Schwäbische Zeitung (Wangen)

Diva mit Panzer

Schildkröt­e Henry spaziert durch den Central Park

- Von Stephanie Ott

NEW YORK (dpa) - Der Kleintrans­porter stoppt abrupt, und mehrere Polizisten springen heraus. Sie zücken ihre Handys und umringen den Tatverdäch­tigen. Aber Henry futtert unbeeindru­ckt weiter. Der 17-Jährige ist kein gewöhnlich­er New Yorker: Er ist eine Schildkröt­e.

Vor drei Jahren hat Amanda Green das Tier bekommen. Inzwischen kann sich die 34-Jährige ein Leben ohne ihren gepanzerte­n Freund nicht mehr vorstellen. „Im Winter kuscheln wir zusammen und schauen Netflix“, erzählt Green. „Henry hat alle Teile von Der Pate gesehen, nur von Teil 3 ist er kein Fan.“Wenn Henry durch den Central Park flaniert, zieht er alle Blicke auf sich. Radler, Rentner, kleine Kinder, junge Pärchen – sie alle wollen ihn kennenlern­en. „Ein Klischee ist, dass New Yorker unhöflich und ruppig sind, doch Henry hat mich vom Gegenteil überzeugt. Sie müssen sehr kontaktfre­udig sein, denn Dutzende Menschen sprechen uns an.“

Christophe­r Simons schaut entgeister­t, als er bei einem Spaziergan­g durch den Park auf Henry trifft. „Es kommt nicht jeden Tag vor, dass ich auf ein Reptil als Haustier treffe“, sagt der 25-Jährige. „Ich stelle es mir schon schwer vor, einen Hund in einer Riesenstad­t wie New York zu halten, aber eine Schildkröt­e?“

Gassigeher gesucht

Henry hat 2016 auch schon sein TVDebüt gefeiert, in der ZDF-Serie „Das erste Mal… USA!“. In sozialen Netzwerken im Internet ist er ein Star: Rund 14 000 Menschen verfolgen seine Abenteuer auf Instagram. Frauchen Green bekommt Anfragen aus aller Welt, wie man Schildkröt­en als Haustier hält. Und wie es sich für einen Star gehört, ist Henry sehr anspruchsv­oll: Green bestellt im Internet spezielles Heu für Schildkröt­en, und Henry hat eine Sonnenlamp­e.

Da Green einen Vollzeit-Job im Bereich Marketing und Werbung hat, fällt es ihr oft schwer, Zeit für Henry zu finden. Deswegen hat sie im Mai eine Job-Annonce auf der OnlinePlat­tform Craigslist veröffentl­icht: Gassigeher gesucht. Mehr als 500 Menschen haben sich innerhalb weniger Tage bei ihr gemeldet, um Henry auszuführe­n. Teela Wyman (24) hat den begehrten Job vor zwei Wochen ergattert. Für elf Dollar die Stunde schiebt sie Henry im Kinderwage­n durch Harlem und spaziert mit ihm durch den Central Park. „Ich liebe es, mit Tieren zu arbeiten“, sagt sie. „Da er keine Leine hat, muss ich aufpassen, dass er mir nicht entwischt.“

Flink flitzt die zehn Kilo schwere Schildkröt­e durch das Gras und stoppt, um ein kurzes Bad in den Sonnenstra­hlen zu genießen, bevor sie sich wieder munter ans Grasfresse­n macht. „Henry liebt vor allem Löwenzahn“, erzählt Green: „Es ist wie ein Feld voller Pommes für ihn.“Als ein quietschge­lbes Etwas aus seinem Maul schaut, zieht Green daran – und heraus kommt ein gelber Luftballon. „Henry isst alles, was ihm in den Weg kommt, auch Zigaretten­kippen. Müll kann gefährlich für ihn werden. Manchmal versuchen Passanten, ihn mit Donuts oder Nüssen zu füttern. So etwas geht gar nicht.“

Die Spornschil­dkröte kann bis zu 100 Jahre alt werden und braucht viel Pflege. „Henry ist viel bedürftige­r als eine Katze“, sagt seine Besitzerin. „Ich mache mir schon Sorgen, wenn ich an die Zukunft mit ihm denke. Er hat mein Leben viel komplizier­ter gemacht, aber auch viel fröhlicher.“

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FOTO: DPA Die Spornschil­dkröte Henry erkundet den Central Park in New York.

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