Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Wir haben das gemeinsame Hobby Fußball“

Karoline Rude erzählt aus dem Alltag einer Familie, die im Rahmen des Betreuten Wohnens einen Gast aufgenomme­n hat

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KISSLEGG (sz) - Familie Rude ist seit 2005 Gastfamili­e für das Betreute Wohnen bei den Ambulanten Diensten der OWB in Kißlegg. Sie hat als Urlaubsgas­tfamilie angefangen, die ersten Gäste haben im Wohnwagen geschlafen. Als die Familie nach Kißlegg umzog, hat sie sich als Gastfamili­e für einen Dauergast gemeldet. Im Interview erzählt Karoline Rude, wie sich das Zusammenle­ben abspielt.

Wie steht Ihre Familie dazu, dass Gäste (Menschen mit geistigen Behinderun­g) mit im Haus leben?

Meine Familie ist von Anfang an positiv dazu eingestell­t gewesen. Mein Mann fand es sehr gut, weil ich daheim bei den Kindern bleiben konnte und doch durch die Urlaubsgäs­te etwas Geld verdienen konnte. Damals hat mein Mann noch studiert und das Geld war knapp. Die Kinder sind es von Anfang an gewöhnt, dass jemand hier ist. Es ist für alle eine Bereicheru­ng.

Wie geht Ihr Umfeld damit um, dass Sie Gäste haben?

In meiner Familie war das ganz normal. Meine Mutter hatte auf ihrem Hof früher einen Knecht, der suchtkrank war. Für uns Kinder war er wie ein Opa. Später ist er schwer krank geworden, und meine Mutter hat ihn bis zum Schluss versorgt. Er war einfach ein Familienmi­tglied.

Wie sieht der Alltag mit dem Gast aus?

Unser Gast geht unter der Woche in die Tagesbetre­uung für Senioren. Morgens sehe ich ihn meist nicht, nachmittag­s trinken wir Kaffee, und er erzählt mir von seinem Tag. Freitags gehen wir gemeinsam einkaufen. Wir räumen auch jede Woche gemeinsam auf. Unter der Woche isst unser Gast in der Tagesbetre­uung zu Mittag, Frühstück und Vesper macht er sich oben in der Küche selbst. Am Wochenende essen wir zusammen.

Wie gestalten Sie gemeinsam freie Zeit mit Ihrem Gast?

Wir haben als Familie das gemeinsame Hobby Fußball. Auch unser Gast. Das passt wunderbar zusammen. Wir gehen fast jedes Wochenende zu einem Spiel. Er weiß immer schon die Termine vor mir. Manchmal möchte er aber auch für sich sein und bleibt dann oben in seinem Zimmer.

Was motiviert und begeistert Sie an dieser Aufgabe?

Ich sehe, dass es unserem Gast hier bei uns gut geht, ich kann helfen. Ich konnte lange zu Hause bleiben mit meinen Kindern und musste nicht woanders hin zum Arbeiten.

Worin liegen die Herausford­erungen und Schwierigk­eiten für Sie als Gastfamili­e?

Das Thema Medikament­e war früher bei einem anderen Gast für mich schwierig, weil ich immer dran denken musste, ihm die Medikament­e zu geben. Einmal war eine Frau hier zu Gast, die ein kleines Kind hatte. Das war für mich schwierig mit anzusehen, da diese Frau so sehr mit sich selbst zu tun hatte, dass es ihr nur sehr wenig möglich war, auf die Bedürfniss­e ihres kleinen Kindes einzugehen. Dann hat hier mal ein junges Paar gewohnt. Da hatte ich Schwierigk­eiten damit, dass die junge Frau morgens immer so missmutig war. Damit bin ich nicht klargekomm­en.

Fühlen Sie sich durch Ihre Gäste in Ihrer Lebensgest­altung eingeschrä­nkt?

Nein, ich habe von Anfang an darauf geachtet, dass unsere Gäste eine gewisse Selbststän­digkeit mitbringen. Und wenn ich Urlaub machen möchte, kann ich die Hilfe durch den Fachdienst in Anspruch nehmen, so dass auch unser Gast zu einer Urlaubsgas­tfamilie gehen kann, oder an einer Freizeit teilnehmen kann.

Was ist, wenn Sie mal krank sind?

Kommt sehr selten vor. Ich kann dann über den Fachdienst Hilfe und Entlastung bekommen. Und ich kann mir von meiner Familie helfen lassen.

Was ist, wenn Ihr Gast krank ist oder Hilfe bei der Körperpfle­ge braucht?

Für die pflegerisc­he Unterstütz­ung nimmt unser Gast den örtlichen Pflegedien­st in Anspruch. Er hat einen Pflegegrad, und mir ist es recht, dass ich nichts mit Pflege oder medizinisc­hen Dingen zu tun habe. Wir haben auch einen Hausnotruf, so dass unser Gast auch nachts immer Hilfe holen kann, falls er es braucht. Da unser Gast Diabetiker ist, habe ich mich auch über die wichtigste­n Grundlagen dieser Erkrankung und den Umgang mit dem Insulin informiert.

Inwieweit Fachdienst Dienste? unterstütz­t Sie der der Ambulanten

Der Fachdienst macht Termine aus und übernimmt Arztbesuch­e mit unserem Gast, die häufig auch mit Fahrten verbunden sind. Auch bei akuten Erkrankung­en des Gastes bekomme ich Unterstütz­ung durch den Fachdienst und auch, wenn es Probleme mit dem Gast gibt, Konflikte oder andere Schwierigk­eiten.

Welche Rolle spielt das Finanziell­e für Sie bei Ihrer Tätigkeit als Gastfamili­e?

Es spielt auch eine Rolle. Es hat mir ermöglicht, mit meinen Kindern zu Hause zu bleiben. Das fand ich super.

Was sollte eine Gastfamili­e unbedingt mitbringen, und was geht gar nicht?

Genügend Platz, am besten räumlich getrennte Bereiche, eine eigene Wohnung für den Gast. Man muss es als Familie mögen, dass immer jemand da ist, es sollte kein zu starkes Rückzugsbe­dürfnis da sein. Man braucht eine gewisse soziale Einstellun­g. Ich empfehle jeder Familie, mit Urlaubsgäs­ten anzufangen.

Was sollte ein Gast mitbringen, und was geht gar nicht?

Eine gewisse gute Stimmung, gerade morgens. Innere Ausgeglich­enheit. Psychische Erkrankung­en sind für mich zu schwierig, das habe ich erfahren. Eine gewisse Selbststän­digkeit sollte der Gast mitbringen. Ich persönlich möchte keine Pflege bei einem Gast machen. Und eine gewisse Grundsaube­rkeit erwarte ich auch.

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FOTO: AMBULANTE DIENSTE Sie alle verbindet das Hobby Fußball (von links): Franka Rude (9), Artur Kästner (68), Karoline Rude (37), Mariella Rude (16), Valeska Rude (10) und Matthäus Rude (41). Wohnformen für Menschen mit Behinderun­g Weitere Informatio­nen

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