EU-Wettbewerbskommissarin macht Ernst
Vestager besteht auf Steuerrückzahlungen von Amazon und Apple
BRÜSSEL - 250 Millionen Euro Steuern plus Zinsen soll das Land Luxemburg vom Online-Vertriebshändler Amazon für die Jahre 2006 bis 2014 zurückverlangen. Darüber ist die Regierung ebenso wenig begeistert wie Irland, das 13 Milliarden Euro von Apple ein Jahr nach einer entsprechenden Entscheidung der EU-Kommission noch immer nicht eingetrieben hat.
Im Kampf gegen Internetgiganten, die ihre Steuern nicht zahlen wollen, geht Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in die nächste Runde. Die stets freundlich aber kompromisslos auftretende Dänin forderte gestern die Luxemburger Steuerbehörde auf, 250 Millionen Euro Steuern plus Zinsen von Amazon nachzufordern. Begründung: Der Konzern hatte mit dem Luxemburger Finanzministerium für die Jahre 2006 bis 2014 einen Deal geschlossen. Gemäß der Absprache wurden sämtliche Gewinne des mit mehr als 500 Mitarbeitern in Luxemburg operierenden Versandhändlers an eine Tochterfirma transferiert, die lediglich einen Briefkasten in der europäischen Finanzmetropole unterhielt. Von dort wurden mehr als 90 Prozent mit der Begründung an den US-Mutterkonzern weitergeleitet, dort sei die Software für das Europageschäft entwickelt und der Mehrwert in Wahrheit erwirtschaftet worden.
„Der Deal ermöglichte es Amazon, den Löwenanteil seines Gewinns ohne Rechtfertigung von einer Tochterfirma zur nächsten zu verschieben. Das führte dazu, dass drei Viertel des in Europa erwirtschafteten Profits überhaupt nicht besteuert wurden“, erklärte Vestager gestern. Die Parallelen zum Apple-Fall in Irland sind offensichtlich, wenngleich es dort um eine deutlich höhere Summe geht. Pikant ist, dass in der fraglichen Zeit Vestagers derzeitiger Chef, Kommissionspräsident JeanClaude Juncker, Premier und Finanzminister war. Auf entsprechende Fragen erklärt er stets, dass die Deals nach damaliger Rechtslage legal waren, die Gesetze aber dringend verschärft werden müssten.
Daran arbeitet die EU-Kommission. Seit der Finanzkrise und den Enthüllungen über Steuervermeidung im großen Stil ist die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema ebenso gestiegen wie die politische Bereitschaft, auf EU-Ebene und international Steuerschlupflöcher zu schließen. „Wettbewerbskontrolle kann nur Teil der Lösung sein“, räumte Vestager gestern ein. Nur eine Steuerreform könne das Problem dauerhaft beseitigen. „Ich setze große Hoffnung in die zwischen EU-Regierungen vereinbarte Informationspflicht über Steuerdeals.“
Die Luxemburger Regierung wies die EU-Entscheidung zurück. Man habe offen und rückhaltlos mit der Kommission zusammengearbeitet und unterstütze sämtliche auf OECD-Ebene beschlossenen Maßnahmen gegen Steuervermeidung. „Die Kommissionsentscheidung geht bis ins Jahr 2006 zurück. Seither haben sich sowohl die internationalen Regeln als auch die Luxemburger Gesetzgebung entscheidend fortentwickelt. Da Amazon im fraglichen Zeitraum gemäß der damals gültigen Gesetze besteuert wurde, sieht Luxemburg das nicht als unfaire Staatsbeihilfe an.“
Irland, das im August 2016 verdonnert wurde, 13 Milliarden Euro von Apple nachzufordern, hat das bis heute nicht getan. Nach Vestagers Darstellung weigert sich die Regierung zwar nicht grundsätzlich, verweist vielmehr auf technische Schwierigkeiten und fehlendes Fachpersonal. „Wir sind gern bereit zu helfen. Aber es muss auch deutliche Fortschritte geben. Wir überweisen den Fall deshalb jetzt an den Europäischen Gerichtshof“, kündigte Vestager gestern an.
„Einheitliche Regeln für Staatsbeihilfen sorgen dafür, dass Unternehmen auf fairer Grundlage miteinander konkurrieren“, betonte die Wettbewerbskommissarin. Es könne nicht angehen, dass ein lokaler Anbieter viermal so viel Steuern bezahlen müsse wie Amazon. Die Kommissionsentscheidung sei ein Signal an alle Steuerbehörden, für faire Bedingungen zu sorgen. „Die Arbeit ist noch nicht erledigt. Aber wir sind weit gekommen. Im Januar 2017 hat Luxemburg neue Regeln für Unternehmen erlassen, die Gewinne auf andere Tochtern übertragen. Damit sind 200 der 500 Fälle erledigt, die in den sogenannten Lux-Leaks-Recherchen ans Licht gekommen sind.“