Spaniens Regierung will keine Vermittler
Verfassungsgericht untersagt Sitzung des katalanischen Parlaments, bei der die Unabhängigkeit erklärt werden soll
MADRID - Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy lehnt jegliche Vermittlung im lodernden KatalonienKonflikt ab. „Die Regierung wird über keinen Rechtsbruch verhandeln.“Rajoy forderte am Donnerstag die katalanischen Separatisten auf, den einseitigen Unabhängigkeitsprozess zu stoppen, „um Schlimmeres zu vermeiden“.
Das spanische Verfassungsgericht hat inzwischen eine für Montag geplante Plenarsitzung des katalanischen Regionalparlaments vorläufig verboten. Dies berichteten spanische Medien am Donnerstag unter Berufung auf Justizkreise. Die Parteien der katalanischen Koalitionsregierung in Barcelona wollten bei der Sitzung möglicherweise die Unabhängigkeit der Region ausrufen.
Kataloniens Ministerpräsident Carles Puigdemont zeigte sich zwar in einer „Rede an das katalanische Volk“zu einer Vermittlung bereit. Aber nur unter der wenig realistischen Bedingung, dass er seine einseitige Unabhängigkeitsfahrt fortsetzen kann.
Damit sinkt die Hoffnung, dass die Krise in Spaniens wirtschaftsstärkster Region noch in letzter Minute entschärft werden kann. Puigdemont ließ keinen Zweifel daran, dass nach dem vom Verfassungsgericht verbotenen Unabhängigkeitsreferendum am Sonntag schon in Kürze die nicht weniger illegale Abspaltung ausgerufen werde.
Kein Konflikt zwischen Staaten
„Eine Vermittlung durch die Europäische Union ist nicht gerechtfertigt“, sagte Spaniens Außenminister Alfonso Dastis. Es gebe keinen Konflikt zwischen zwei Staaten. „Hier geht es um die Befolgung des Gesetzes.“
Spaniens Regierungschef Rajoy erklärte: „Die Regierung wird keine Erpressung akzeptieren. „Wenn Puigdemont verhandeln oder Vermittler schicken will, weiß er, was er vorher tun muss: Auf den Weg des Rechts zurückkehren.“Puigdemont stehe mit seinem Unabhängigkeitskurs „nicht nur außerhalb des Gesetzes, sondern außerhalb der Realität“.
Puigdemont hatte in Barcelona in einer TV-Ansprache den 7,5 Millionen Katalanen zwar versichert, dass er „immer eine Tür zum Dialog offen“habe. Er bekräftigte aber zugleich, dass er „keinen Millimeter“vom einseitigen Unabhängigkeitsprozess abweichen und auf jeden Fall das „Ergebnis des Referendums umsetzen“werde.
Bei der zweifelhaften Abstimmung am Sonntag hatten 90 Prozent der Wähler mit Ja gestimmt. Die Mehrheit der Katalanen hatte aber bei diesem verfassungswidrigen Referendum nicht mitgemacht. Die katalanische Bevölkerung ist in Sachen Unabhängigkeit gespalten.
Angesichts unbeweglicher Fronten wächst die Sorge, dass die Krise in der spanischen Mittelmeerregion außer Kontrolle gerät. Spaniens Regierung in Madrid kündigte bereits an, dass man auf eine einseitige Unabhängigkeitserklärung der Separatisten mit harten Gegenmaßnahmen reagieren werde.
Entmachtung möglich
Madrid könnte dann die katalanische Regierung zwangsweise entmachten, Spaniens Justiz könnte gegen Puigdemont Anklage wegen Rebellion erheben. Doch dies würde zweifellos die sehr gespannte Stimmung auf den Straßen Kataloniens weiter anheizen.
„Der Kessel hat eine sehr hohe Temperatur und kann jeden Moment explodieren“, warnte am Donnerstag Kataloniens größte Tageszeitung „La Vanguardia“in einem Leitartikel. In der Tat geraten immer öfter Anhänger des antispanischen und prospanischen Lagers auf den Straßen aneinander. Berichterstatter, die nicht auf der Linie der Separatisten liegen, werden öffentlich angefeindet und beschimpft.
Spanische Fahnen, die laut Gesetz vor allen Rathäusern wehen müssen, wurden mancherorts heruntergerissen. Spaniens Sicherheitskräfte bekommen oft in Katalonien zu hören: „Haut ab, Besatzungstruppen.“„Ein starkes Gefühl des Schwindels erfasst die Gesellschaft“, schrieb Enric Juliana, einer der prominentesten Journalisten Kataloniens. „Es herrscht Angst, dass die Eskalation in einer Katastrophe endet.“
Spaniens zerstrittene Parteien schaffen es derweil nicht einmal in dieser schlimmsten Staatskrise in der demokratischen Geschichte, sich zusammenzuraufen. Klare Unterstützung in seiner kompromisslosen Katalonienpolitik bekommt Spaniens konservative Minderheitsregierung nur von der kleineren bürgerlich-liberalen Partei Ciudadanos. Die Sozialisten, Spaniens größte Oppositionspartei, sind zerstritten. Nur die linksalternative Protestbewegung Podemos, drittgrößte Partei der Nation, tritt zusammen mit den kleineren Regionalparteien aus Katalonien, dem Baskenland und Valencia offen für eine Verhandlungslösung ein: Sie schlagen einen „dritten Weg“vor zwischen katalanischer Unabhängigkeit und spanischem Pochen auf den Rechtsstaat – und zwar ein ausgehandeltes und damit legales Unabhängigkeitsreferendum nach dem Vorbild Schottlands.