US-Milliardär als Staatsfeind
Ungarn startet Volksbefragung gegen „Soros-Plan“
WIEN - Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán befragt wieder einmal das Volk. Diesmal über seinen Lieblingsfeind und Milliardär Georg Soros, dem er unterstellt, Ungarn und andere EU-Länder durch Millionen Migranten ihrer „nationalen und christlichen Identität“zu berauben.
Die Parlamentswahl findet zwar erst im April nächsten Jahres statt, der Wahlkampf hat aber schon begonnen. Orbán ruft einmal mehr die Stimmbürger auf, im Rahmen einer „nationalen Konsultation“, wie in der Amtssprache Volksbefragungen in Ungarn genannt werden, bis Ende November einen Fragebogen auszufüllen und einzusenden. Thema: „Der SorosPlan“. Gemeint sind die angeblich finsteren Pläne, die der aus Ungarn stammende amerikanische Finanzspekulant George Soros gegen das christliche Europa schmiedet.
Orbán erklärte vor Monaten den ungeliebten Landsmann, dessen Stiftung ihm einstmals das Studium in Oxford finanzierte, zum Staatsfeind Nummer 1. Er sei der „einflussreichste Milliardär der Welt“, wie es in einem Videoclip heißt, der über alle Kanäle der staatlichen Medien verbreitet wird. Den Stimmbürgern werden sieben Fragen vorgelegt, die mit dem Appell verknüpft werden: „Wir sollten das nicht zulassen!“Eine Auswahl: „George Soros fordert von Brüssel, jährlich eine Million Einwanderer auf dem EU-Territorium anzusiedeln, einschließlich in Ungarn.“Oder: „Gemeinsam mit Offiziellen in Brüssel plant Soros den Abbau aller Grenzbarrieren in den EU-Mitgliedsstaaten, um die Grenzen für Migranten zu öffnen.“Außerdem: „Auf Basis des Soros-Plans soll Brüssel alle EUMitgliedsstaaten zwingen, einschließlich Ungarn, neun Millionen Forint (30 000 Euro) pro Migrant zu deren Wohlergehen zu zahlen.“Der Höhepunkt der Angstmacherei folgt in Frage 6: „Das Ziel des Soros-Plans ist es, Sprachen und Kulturen Europas in den Hintergrund zu drängen, so dass die Integration illegaler Einwanderer schneller ermöglicht wird.“
Orbáns Verschwörungstheorie
Erst kürzlich wiederholte Orbán in einem Referat vor der „Vereinigung christlicher Intellektueller“in Budapest seine Verschwörungsthese vom „Soros-Mafia-Netzwerk“, das in Kumpanei mit der EU-Kommission in Brüssel massenhaft Migranten in den Staaaten Ostmitteleuropas ansiedeln wolle, um sie „ihrer christlichen und nationalen Identität“zu berauben. Auch Ungarn solle ein Land „mit einem Mischvolk“werden, was seine Regierung aber nicht zulassen werde.
Weder gibt es den Plan noch verfügt Soros über so viel Einfluss. Orbán leitet seine Verschwörungsthesen von einem Besuch Soros’ 2015 in Brüssel ab. Damals hatte der heute 87-jährige Philanthrop der EU-Kommission die finanzielle und organisatorische Unterstützung seiner „Stiftung für eine offene Gesellschaft“für eine humane Flüchtlingspolitik angeboten. Ein konkretes Konzept hat es nie gegeben.
Für Orbán ist Soros ein Feindbild: Er ist Milliardär, Spekulant, Liberaler und Jude. Seine Stiftung und andere Zivilorganisationen, die Soros finanziell unterstützt, sollen mundtot gemacht werden, weil sie Orbáns Flüchtlingspolitik, den Abbau der Demokratie und die Korruptionsaffären seiner Regierung kritisieren. Das von der Regierungspartei Fidesz kontrollierte Parlament hat eigens ein AntiNGO-Gesetz verabschiedet, das den Spielraum der Organisationen massiv einschränkt, weshalb die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet hat.
Das Ergebnis der Volksbefragung soll Ende November vorliegen. Bindend ist es für die Regierung nicht, es dient der Motivation der müde gewordenen Anhängerschaft. Die letzte Aktion „Stoppt Brüssel“, bei der es um die angebliche Entmündigung Ungarns durch die EU-Kommission ging, war mit 40 Prozent Beteiligung ein Flop.