Großartiges Gesellschaftsbild
Im dritten Band ihrer Neapel-Saga werden Elena Ferrantes Heldinnen erwachsen
Mit Elena Ferrantes vierteiliger neapolitanischen Saga ist es ein bisschen so wie früher in der Jugend mit den vielen Hanni-und-Nanni-Bänden von Enid Blyton oder den Britta- und Elke-Serien: Man kann es kaum erwarten, bis eine neue Folge erscheint. Nur geht es in diesem Fall nicht um Zwillinge in einem Internat und auch nicht um ein Pferdemädchen oder einen Hamburger Wirbelwind, sondern um die Freundinnen Lila und Lenù, die in den Nachkriegsjahren in einem heruntergekommenen Viertel in Neapel aufwachsen.
Während die ersten beiden Bücher mit fulminanter Erzählkunst die Kinder- und Teenagerjahre zwischen täglichem Überlebenskampf und gegenseitiger Rivalität schildern, widmet sich der dritte Band der jungen Erwachsenenzeit.
Wir haben die 1970er-Jahre. Lenù hat das destruktive MafiaMilieu hinter sich gelassen, ihr Studium abgeschlossen, ein sehr erfolgreiches Buch veröffentlicht und in eine einflussreiche Florentiner Gelehrtenfamilie eingeheiratet. Lila ist der unglücklichen Ehe mit dem Salumeria-Besitzer Stefano entflohen und schufftet in einer Wurstfabrik, um ihren Sohn Gennaro durchzubringen.
Beide engagieren sich im linksautonomen Klassenkampf – über weite Strecken hinweg ist dieser Roman ein ausgesprochen politisches Buch. Gleichzeitig auch ein sehr feministisches, denn Ferrante (ein Pseudonym für die Übersetzerin Anita Raja) erzählt ausschließlich aus weiblicher Sicht. Das betrifft die Sexualität ebenso wie das Selbstverständnis der beiden Frauen.
Obwohl sich die Zeiten geändert haben, stoßen beide doch immer wieder an ihre Grenzen. Geschickt jongliert die Autorin mit ihrem großen Ensemble an Figuren und ebenso raffiniert gestaltet sie den Schluss dieses vorletzten Bandes. Alles bleibt offen – und spannend.
Elena Ferrante: Die Geschichte der getrennten Wege. Übersetzung Katrin Krieger. Suhrkamp Verlag, 540 Seiten, 21,95 Euro.