Gustav Mahlers „Nomadische“
Mahler neu denken – das ist der Tenor des englischen Musikwissenschaftlers und Mahlerkenners Jeremy Barham. Er hat den ausführlichen Booklet-Beitrag zu einem neuen Mahler-Zyklus geschrieben. Das Minnesota Orchestra, nach der Finanzkrise gebeutelt, aufgelöst und nun wieder in Fahrt kommend, hat sich ein Großprojekt vorgenommen. Die Sinfonie Nr. 5 ist soeben erschienen.
Auch Dirigent Osmo Vänskä denkt Mahler neu, nicht ganz so neu freilich wie Roger Norrington mit seiner Stuttgarter Aufnahme von 2006, die sogar die Orchesteraufstellung der Mahlerzeit umsetzte. Was dort konzeptionell und spieltechnisch souverän erklingt, hört sich hier zwar eher nach Effektsuche an, ist aber nicht uninteressant. Vänskä entfaltet eine Palette von Abtönungen, baut Klangballungen sorgfältig auf, weitet immer wieder einzelne Passagen zu Idyllen aus. Das berühmte Adagietto wird zur Dehnübung. Aber das großartige Scherzo gewinnt in diesem Verfahren. Die Transparenz profitiert von dieser Spielweise, gerade bei den Klangüberlagerungen, die in der Sinfonie auftreten. Selbst die Pausen zwischen den fünf Sätzen werden durch unterschiedliche Dauer strukturiert.
Die Versammlung und Überlagerung von Klängen unterschiedlicher Herkunft, aus der Volksmusik, der Unterhaltsmusik, der sinfonischen Tradition, wie sie in dieser Sinfonie zu hören sind, das ist auch der Ansatz für das Mahler-Verständnis von Jeremy Barham. Das Mischen solcher Ebenen, das Mahler selbst noch in eher hauswirtschaftlicher Bildsprache „durchkneten“genannt hat, wird bei Barham zeitgemäß auftoupiert: Bei ihm geht es ums „Nomadische“und den „Entwurf mobiler Identitäten“. (man) Mahler Nr. 5, Minnesota Orchestra, Osmo Vänskä, BIS 2226 (Vertrieb: Klassik Center Kassel)