Platzanweiser im Restaurant: Ein Fortschritt in Sachen Esskultur?
Wie kann ein Restaurant oder ein Wirtshaus möglichst ehrlich Gastfreundschaft ausdrücken? Natürlich indem es Gäste spürbar willkommen heißt. In diesem Zusammenhang ist es mehr als nur eine Geste, die Eintretenden zu einem Platz zu gelei- ten. Denn dahinter steht eine Achtsamkeit, die wir in unserer überdigitalisierten Welt fast schon vergessen haben. Gibt die Kellnerin das Geleit zum Tisch, heißt das übersetzt: „Du bist hier willkommen, ich nehme dich wahr. Es ist mir wichtig, dass du dich wohlfühlst.“
Es ist wünschenswert, dass diese Art des Umsorgtwerdens in der Gastronomie weitere Verbreitung findet. Denn seien wir mal ehrlich: Ganz viele Erledigungen im Alltag sind praktisch entmenschlicht. Bankgeschäfte wie Geldabheben oder Überweisungen tätigen wir selbst. Im Onlinehandel ist menschlicher Kontakt grundsätzlich nicht vorgesehen. Da ist es umso schöner, wenn wenigstens jene Branche, die wie keine andere für Gastfreundschaft steht, diese deutlich zum Ausdruck bringt. Wer das nicht will, kann sich ja am Autoschalter von einer blechernen Stimme die Bestellung aufnehmen lassen. Als letztes Glied in einer Kette, in der ein Gast nicht viel mehr ist als ein lästiges Detail in einem Automatisierungsmechanismus.
e.nyffenegger@schwaebische.de
Das Leben ist ein ständiger Lernprozess, es vergeht praktisch kein Tag, an dem man Gewohnheiten und Vorlieben nicht überprüfen und einer Neubewertung unterziehen muss. In meiner Jugend war ich beispielsweise der festen Überzeugung, dass
Tattoos einen Menschen als Schiffschaukelbremser beim Heimatfest oder mindestens als Leichtmatrosen ausweisen. Was für eine Fehleinschätzung!
Damit sind wir bei der Hochkultur und können uns dem eigentlichen Thema widmen. Der neueste Trend gehe zum Platzanweiser im Restaurant, heißt es – auch hierzulande. Das allerdings würde meine Flexibilität über Gebühr strapazieren, alles hat schließlich seine Grenzen. Wenn ich aus freien Stücken ein Restaurant betrete, möchte ich auch gerne weiterhin von der Möglichkeit Gebrauch machen, mir den strategisch günstigsten Platz aussuchen zu können. Die Tatsache, dass man sich bei der öffentlichen Nahrungsaufnahme im Gasthaus gegen Mitbewerber um die besten Plätze behaupten muss, ist Herausforderung genug. Speziell im bevorstehenden Winterhalbjahr möchten wir nicht in zugigen Eingangsbereichen verharren und auf einen Grüß-Gott-August warten müssen, dessen Dienste sich zudem gewiss in den Preisen niederschlagen würden. Das sparen wir uns mal.
Von Erich Nyffenegger
Von Bernd Hüttenhofer
b.huettenhofer@schwaebische.de Freie Wahl für freie Bürger Besser lässt sich Gastfreundschaft nicht demonstrieren