Welcher Weg führt in den Wald der Zukunft?
Klimaretter, Erholungsgebiet, Rohstofflieferant – Die Anforderungen an den Forst sind und bleiben enorm hoch
Der Wald steht nicht still, er bewegt sich. Im Mittleren Schwarzwald schwankt eine Fichte unter der Kraft der Erdanziehung. Ihr holziger Leib knarrt und quietscht in der Mühe, sich aufrecht zu halten. Für einen Moment scheint es, als könnte der Baum die Gesetze der Natur außer Kraft setzen. Und auch die der Axt, die ihm soeben den entscheidenden Hieb versetzt hat. Dann bebt die Fichte ein letztes Mal und stürzt zu Boden. Ein Baumleben ist vorbei. Am Rohardsberg bei Triberg ist der Wald der Zukunft ein Stück näher gekommen.
Hier, auf gut 1100 Metern Höhe, soll der Schwarzwald wieder zu einem strukturreichen Biotop werden, in dem seltene Arten eine Nische zum Überleben finden. Zum Beispiel das vom Aussterben bedrohte Auerwild. Die balzenden Hähne mit den leuchtend roten Brauen zieren zwar viele Ansichtskarten in den Touristen-Shops. Doch in der Realität gibt es nur noch wenige Hundert Tiere im Schwarzwald, in dem die größte Population außerhalb der Alpen existiert. Forstwissenschaftler Jonathan Schüppel weiß, was es braucht, damit Europas größter Waldvogel eine Überlebensperspektive hat: „Pflege. Pflege. Pflege. Immer wieder Pflege. Und das mit Freude!“
Schüppel ist Mitarbeiter des „Bergwaldprojekts“, einem Verein, der sich dem Schutz und Erhalt von Wäldern verschrieben hat. In Absprache mit den zuständigen Forstämtern organisiert das Projekt Einsatzwochen für freiwillige Helfer. Von Amrum bis Oberammergau pflanzen sie unter Anleitung Gehölze und lassen Bäche freier fließen, legen Heidelbeeren für Auerhühner frei und bauen Schutzwälle gegen das Abrutschen brachliegender Hänge. Nicht immer bedeutet Arbeit für den Wald dabei, dass jeder Baum stehen bleibt. In Triberg etwa fällen die Projektteilnehmer üppigen Fichtennachwuchs und schaffen so lichte Strukturen. Alles, um das Ökosystem Wald in seiner Komplexität zu bewahren. Nach Maßstäben, die von Menschen gemacht werden.
Vielfach sind diese Maßstäbe kaum miteinander in Einklang zu bringen. Der Wald ist eine wichtige Ressource für ökonomische wie ökologische Interessen. Die Nutzungskonflikte um ihn nehmen zu: Klimaretter soll er sein und Holzlieferant, Erholungsgebiet und Erosionsschutz. Dazu Lebensraum für Tiere und Pflanzen, Filter für Luft und Grundwasser. Ein hoher Anspruch, der sich auf gerade mal auf ein Drittel der Fläche Deutschlands konzentriert. Denn etwa so viel ist tatsächlich von Bäumen bestanden – Baden-Württemberg liegt mit 38 Prozent Waldfläche etwas über dem Durchschnitt.
Was sich da erhebt von der Ostsee bis zur Alb, hat sich der Mensch ausgedacht. Und entschieden, dass die Hälfte aus Fichten und Kiefern bestehen soll. Oft sind sie in Monokulturen gepflanzt, denn nur das verspricht schnellen Profit. Buchen brauchen rund 140 Jahre bis zur Erntereife, Eichen sogar mehr als 200. Nadelbäume dagegen sind schon nach 50 bis 80 Jahren reif für die Holzerntemaschinen. Jedoch sind solche eintönigen Kulturen besonders anfällig für Schäden, wie sie Stürme oder der Borkenkäfer verursacht. Vor allem der Klimawandel macht Forstplantagen zu schaffen. Politisch erwünscht ist daher ein Umbau zu naturnahen und ertragreichen Mischwäldern. Über den Weg dorthin streiten Waldbesitzer, Naturschutzverbände und Wissenschaftler seit Jahren.
Fest steht: Aktuell können sich nur knapp drei Prozent der Wälder ohne forstliche Nutzung entwickeln. In Natur- oder Bannwäldern ist der Holzeinschlag verboten. Sie dienen der Artenvielfalt, dem Nährstoffkreislauf und dem Wasserhaushalt. Zudem sind sie Kohlenstoff-Senken, weil sie das klimaschädliche CO2 binden – und zwar umso besser, je älter sie werden dürfen.
Bis 2020 soll diese Fläche in allen Wäldern auf fünf Prozent steigen. Das hat die Bundesregierung vor zehn Jahren in ihrer „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“beschlossen. Für den öffentlichen Wald hat sich die Bundesregierung zudem ein Zehn-Prozent-Ziel gesetzt. Damit übernimmt der Staat eine besondere Schutzfunktion. Denn nur die Hälfte des deutschen Waldes ist in öffentlicher Hand. Die andere Hälfte gehört zwei Millionen Privatbesitzern. Die meisten von ihnen verfügen über winzige Parzellen und haben damit über wenig bis gar keinen Gestaltungsspielraum. Anders sieht es bei den größten privaten Eigentümern aus, zu denen vor allem alteingesessene deutsche Adelsfamilien zählen, allen voran die Familie Thurn und Taxis. Angaben aus dem Jahr 2014 zufolge gehören ihr 20 000 Hektar Wald – das entspricht der Fläche einer Großstadt wie Hannover.
Wie lassen sich so viele unterschiedliche Beteiligte auf einen gemeinsamen Plan für die Zukunft einschwören? In der „Waldstrategie 2020“hat das Kabinett vor sechs Jahren einige Ziele definiert. Darin gefordert ist auch ein deutlicher Anstieg der Holzernte, um den wachsenden Bedarf möglichst national zu decken. Eine gefährliche Entwicklung für den Wald, finden viele Naturschützer. Schon heute werde in Deutschland mehr Holz benötigt als nachhaltig nachwächst. „Um die Standortkraft der bewirtschafteten Waldfläche zu erhalten und alle sonstigen Leistungen des Waldes wie etwa Biodiversität zu sichern, brauchen wir mehr Schutzgebiete in Deutschland“, fordert deshalb das Bergwaldprojekt in seiner aktuellen Mitgliederbroschüre.
In einem sind sich zumindest Naturschützer und Forstwissenschaftler einig: Beide Interessengruppen lehnen für die Zukunft Monokulturen ab. Doch wie sich diese Forderung umsetzen lässt, darüber wird erbittert gestritten: Gehören zur Artenvielfalt auch importierte Verwandte wie die Douglasie? „Nein“, meinen Umweltverbände – weil sie die Vielfalt der heimischen Arten bedrohen und anfälliger für Schädlinge seien. Der BUND etwa fordert ein Anbauverbot in allen Schutzgebieten. Eine andere Haltung spiegelt die Bundeswaldinventur, die im Auftrag der Regierung alle paar Jahre erhoben wird. Dort sieht man in Mischungen aus Buchen und Douglasien einen guten Ersatz für FichtenMonokulturen. Ein Disput, den Waldbesitzer gespannt verfolgen. Ihr Interesse an dem nordamerikanischen Nadelbaum ist wirtschaftlich motiviert, denn er wächst schneller als die europäischen Verwandten.
Doch was heißt schon schnell? Wälder verändern sich nur langsam. Erst unsere Enkel werden erkennen, ob Weichen, die heute gestellt werden, in die richtige Richtung führen – oder auf den Holzweg.
Nur bei sensiblen Arten wie dem Auerwild kann es schneller gehen. Bewegt sich nichts im Schwarzwald, werden die Waldvögel schon in einer Generation Geschichte sein.