Wieder mal ganz große Oper
In „Origin“schickt Dan Brown seinen Professor Langdon nach Spanien
Seine Bestseller-Kollegen, die Grishams, Kings und Folletts mögen weitaus produktiver sein – dafür versteht sich Dan Brown besser darauf, seine Romane als Spektakel zu inszenieren. Vier Jahre und mehr liegen in der Regel zwischen den Abenteuern des HarvardProfessors Robert Langdon. Das erhöht die Erwartungen, zum Ereignis wird das Erscheinen eines neuen Dan-Brown-Romans aber vor allem, weil sich die Anhängerschaft neben spannender Unterhaltung auch Antworten – oder zumindest Denkanstöße - zu historischen Geheimnissen und großen Menschheitsfragen erhofft. So wird bis kurz vor Erscheinen des jeweiligen Romans auch der Inhalt geheim gehalten – und noch wichtiger: die Schauplätze.
Denn die sind bei Brown stets zentraler Bestandteil der Handlung, spätestens seit sein Durchbruchs-Erfolg „The Da Vinci Code“(in Deutschland „Sakrileg“) mit einem Mord im Pariser Louvre eröffnete. So fiebern neben den Lesern auch die Tourismus-Büros dem Erscheinen des nächsten Romans entgegen, schließlich will man vorbereitet sein, ob man demnächst eine Dan-BrownOriginalschauplatz-Tour ins Angebot nehmen muss. Dieses Mal hat Spanien den Zuschlag bekommen, es geht nach Barcelona, Madrid und, besonders ausführlich, ins Guggenheim-Museum Bilbao.
Dort nimmt die neue Geschichte ihren Auftakt. Futurologe, Computergenie und Multimilliardär Edmond Kirsch hat zu einer Präsentation eingeladen, gegen die Apple-Produktvorstellungen wie eine Rheumadecken-Werbeveranstaltung wirken. Dass es um etwas ganz Großes gehen soll, hat schließlich schon der Prolog mehr als klar gemacht: Da begab sich Kirsch in die Abtei Montserrat zu den Vertretern von drei Weltreligionen – Christentum, Islam, Judentum – um ihnen seine bahnbrechenden neuen Forschungsergebnisse vorzustellen. Eine gute Portion Schadenfreude zählt dabei offenkundig zur Motivation des leidenschaftlichen Atheisten, schließlich ist es sein erklärtes Ziel, die althergebrachten Religionen obsolet zu machen.
Selbst wer zuvor noch nie einen Roman des Autors gelesen hat, dürfte kaum erwarten, dass die große Enthüllung bereits am Anfang des Geschehens steht. Wenig überraschend wird Kirsch dann auch im Moment der Verkündung ermordet, und ab da ist eigentlich alles wie immer in den Langdon-Romanen: Die Welt ist in Aufruhr, ein fanatischer Killer auf einer Mission und der Herr Professor auf der Flucht, begleitet von einer so attraktiven wie intelligenten Partnerin. Die heißt dieses Mal Ambra Vidal, ist Leiterin des GuggenheimMuseums und, besonders pikant, Verlobte des spanischen Kronprinzen Julián. Der soll bald seinem schwerkranken Vater nachfolgen, doch in Ambra reift ein beunruhigender Verdacht: Steckt etwa die in Spanien eng mit der katholischen Kirche verbundene Monarchie selbst hinter dem Attentat?
Sightseeing-Tour inbegriffen
Ebenfalls ein bewährtes Motiv ist die Schnitzeljagd, zu der Langdon und Begleitung nun aufbrechen, um ein Passwort zu erspüren, mit dessen Hilfe sie das Enthüllungsvideo von Kirsch doch noch freischalten und der Weltöffentlichkeit präsentieren können. Dafür müssen allerlei Sehenswürdigkeiten abgeklappert werden – ein Prinzip, für das „Der Spiegel“den schönen Begriff des „Baedeker-Krimis“geprägt hat. Darüber rümpfen Kritiker gerne die Nase, bislang gelang es aber noch jedem Brown-Buch, die Reiselust nach mindestens einem der beschriebenen Orte zu wecken.
Damit verbunden war meist das Interesse an den kunstgeschichtlichen und religiösen Aspekten, doch diese werden dieses Mal sehr knapp abgehakt. Stattdessen findet sich allerlei Zeitgemäßes wie der Taxidienst Uber, selbstfahrende Autos und eine Verschwörungswebsite mit dem gelinde gesagt mäßig originellen Namen ConspircyNet.com. Das weckt ungute Erinnerungen an Browns noch arg schlampig recherchierten Debütroman, den Technikthriller „Diabolus“(„Digital Fortress“). Dieses Mal hat sich der Autor aber offenkundig etwas mehr in den Stand der Computertechnologie eingearbeitet und führt die künstliche Intelligenz Winston als eine Art Super-Siri und zentralen Akteur ein.
Um die Handlung voranzutreiben springen, ebenfalls wie immer, die knappen Kapitel zwischen den Akteuren und Schauplätzen hin und her und enden gerne mit einem „Cliffhanger“wie einer scheinbar unlöslichen Situation oder der Andeutung einer besonders spektakulären Entdeckung. Ein gut abgehangenes Stilmittel, das aber für einen soliden Lesefluss sorgt. Die obligatorischen Wendungen sieht man allerdings teils schon im Voraus kommen und hinsichtlich der wissenschaftlichen Sensationen sollte man seine Erwartungen im Zaun halten.
Eine spannende Frage bleibt aber nach der Lektüre: Nachdem dieses Mal die ganz fundamentalen Menschheitsrätsel wie „Woher kommen wir?“und „Wohin gehen wir?“aufgegriffen wurden, was kann dann in einem sechsten Langdon-Roman noch kommen? Die Antwort gibt es in voraussichtlich vier Jahren.
Dan Brown: Origin. Aus dem Amerikanischen Englisch von Axel Nerz. Bastei Lübbe. 672 Seiten. 28 Euro.