Ungewissheit kurz einmal ausblenden
Die Betreuung und Integration unbegleiteter Minderjähriger im Stephanuswerk
ISNY (sts) - Sie kommen aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Eritrea, Äthiopien, Nigeria, Gambia, Guinea, von der Elfenbeinküste. Unterschiedlichste Nationalitäten, viele Gemeinsamkeiten: Sie haben es lebend nach Europa geschafft, nach Deutschland, sind in Isny gelandet. Gestrandet? Sie sind Jugendliche, unter 18 Jahre alt, männlich, ohne Eltern aus ihrer Heimat geflohen. Das Verwaltungsdeutsch nennt sie „UmA“– unbegleitete minderjährige Ausländer.
Neben dieser Bezeichnung teilen sie noch etwas: „Seit einem halben Jahr haben alle negative Bescheide auf ihren Asylantrag bekommen“, sagt Toni Drescher. Der 58-Jährige ist pädagogischer Leiter der Jugendhilfe im Stephanuswerk der Evangelischen Heimstiftung in Isny. Eine Folge, dass vor allem Afrikaner inzwischen fast „grundsätzlich abgelehnt“werden, sei: „Die Jungs stehen ständig unter Strom.“Auszeit, Tapetenwechsel, ein paar Tage mal nicht zusammengewürfelte Zwangsgemeinschaft. Eine Hoffnung. Im Moment. Nicht mehr. Es fehlt Geld, neben vielem anderem. Vor allem, bei den meisten: die Perspektive.
Auf dem Gelände des Stephanuswerks leben derzeit je drei Jugendliche in zwei Wohngemeinschaften, neun weitere zusammen im Jugendwohnheim, „drei lernen, im betreuten Jugendwohnen selbstständig zu werden“, erzählt Drescher. Wer noch keinen „Aufenthaltstitel“habe, einen positiven Asylbescheid, kommt in die Gemeinschaftsunterkunft, die vom Landkreis im Gebäude der ehemaligen Reha-Klinik unterhalten wird: „Wie ein volljähriger Asylbewerber, der allein in Deutschland ankommt.“
Wenn die Jugendhilfemaßnahme beendet wird, „müssen die Jungs bei uns raus“, erklärt Drescher weiter. Hat ein Flüchtling seinen Aufenthaltstitel, ist er „Bürger der Stadt Isny“. Obdachlosigkeit droht. Dann stünden die Menschen wieder „hier bei auf der Matte, und natürlich lässt du sie nicht stehen, aber wir können uns nicht um sie kümmern wie um die anderen“. Bei den jungen Erwachsenen sehe die Stadt „keinen Handlungsbedarf“, eine betreute Unterbringung sei „nicht rudimentär ihre Aufgabe“, zitiert Drescher aus Gesprächen, die er führt. Leutkirch tue etwas, Ravensburg und Weingarten fasse die Menschen in WGs zusammen: „Das wären mögliche Konstellationen.“
In diesem Umfeld der Ungewissheit arbeitet auch Peter Bicheler. Der 62-jährige ist „Bildungslotse“in der Jugendhilfe, kümmert sich – trotz aller Unwägbarkeiten – um einen „Übergang zwischen Schule und Beruf“. Im Stephanuswerk gibt es eine Maler- und eine Metallwerkstatt, wo er Praktika organisiert: „Meist mit einer zweitägigen Erprobungsphase, bei Eignung auch länger, dann schauen wir, ob wir Praktika nach außen verlagern können.“
Es gibt Firmen, die solche Projekte unterstützen, erzählt Bicheler, eine Lackiererei in Friesenhofen, ein Metallbaubetrieb, eine Kfz-Werkstatt, ein Industriebetrieb in Isny. „Uns ist gelungen, dass zwei einen Ausbildungsplatz bekommen haben, drei haben wir über Zeitarbeit untergebracht, einer von ihnen will sich für eine Ausbildung als Fachlagerist bewerben, weil ihm die Arbeit großen Spaß macht“, zählt Bicheler kleine Erfolge auf. Als solche wertet er auch, dass drei Jugendliche nach den Praktika konkrete Berufswünsche äußern, Maler und Einzelhandelskaufmann, sich zwei weitere auf den Hauptschulabschluss vorbereiten. „Wir versuchen, Leute nachzuschieben, dass sie über den Hauptschulabschluss in eine Lehre kommen“, sagt Bicheler. Schwierigkeiten hier wiederum: das Erlernen der deutschen Sprache, „das sehr unterschiedliche Bildungsniveau“, die Anforderungen in der Berufsschule.
Klein zu nennen sind die Erfolge, weil sich die Zahlen im Vergleich zu jenen, die seit September 2015 dokumentiert sind, gering ausnehmen: „In Spitzenzeiten haben wir über einen längeren Zeitraum über 30 ’UmA’ betreut, die Fluktuation mit eingerechnet etwa nochmal 45“, rechnet Toni Drescher hoch.
Ihn mitgezählt, umfasst das Jugendhilfe-Team aktuell 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zwei davon sind Maria Forster und Friederike Kowal. Die beiden Sozialpädagoginnen begleiten die Jugendlichen im Alltag, beim „erst einmal Deutsch Lernen“für Schule und Berufsbereitung, sie organisieren wöchentliche Gruppentreffen, besprechen „Pläne und Wünsche“, organisieren Fahrdienste nach Maierhöfen und Rohrdorf, wo zwei Drittel der aktuell 20 Jungs im Verein Fußball spielen.
Ende November konnte das Jugendwohnheim umziehen. „Wir haben jetzt schönere Räume, vom Komfort her besser, wir können zum Beispiel selbst kochen“, erzählt Forster. Ein Umzug in zwei kleinere Jugendwohngemeinschaften scheitere noch an einer zusätzlichenn Brandschutztreppe – ein Beispiel für die Bürokratie, mit der sich Drescher, Forster und Kowal täglich auseinandersetzen: „Jugendamt, Ärzte, Kontakt zu Vormündern, Hilfeplangespräche, Einzelförderung, Gesundheitsvorsorge, psychologische Betreuung, Begleitung bei Anhörungen im Asylverfahren“, zählen die Jugendhelfer auf.
Das Wort „Behördenwillkür“nimmt Toni Drescher nicht in den Mund. Er sagt aber über die Asylverfahren: „Jeder Sachbearbeiter tickt anders, ohne uns wären die Jugendlichen aufgeschmissen.“Die ständige Ungewissheit, parallel zu Deutschlernen, Schule, Berufsvorbereitung, Ausbildung: Das ist der „Strom“, den Drescher erwähnt.
Um ihn abzuschwächen, kurz auszusetzen, wurde 2016 eine Ferienfreizeit auf einer Hütte organisiert, 2017 gab es „tageweise Angebote“wie Ausflüge zum Eistobel, an eine Rodelbahn. Größer Wunsch der Jugendhelfer: „Gruppenfreizeiten in Kleingruppen, um Begegnungsräume zu schaffen, die helfen, traumatische Erlebnisse mit positiven Erfahrungen zu überlagern und den Jugendlichen eine verbesserte Integration in das Gemeinwesen zu erleichtern.“