Brugger: Lage im Nordirak gefährlich
Deutsche Soldaten bilden auch nach IS-Niederlage weiterhin kurdische Peschmerga aus
RAVENSBURG (sz) - Trotz der Erfolge im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) ist die Lage im Nordirak laut Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger „hochfragil“. „Aus meiner Sicht sind funktionierende und politisch kontrollierte Streitkräfte eine gute Antwort darauf, aber das darf sich dann nicht nur auf den Nordirak konzentrieren“, sagte Brugger im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Etwa 140 Bundeswehrsoldaten bilden dort im Kampf gegen den IS Einheiten der kurdischen Peschmerga aus.
RAVENSBURG - Etwa 140 deutsche Soldaten sind selbst nach der Niederlage des sogenannten Islamischen Staates (IS) im Nordirak stationiert. Aber sie dürfen nicht kämpfen – sie sollen kurdische Peschmerga-Kämpfer trainieren, damit diese gut ausgebildet gegen die verbliebenen Kämpfer des IS vorgehen können. Diese Mission hat der Bundestag diese Woche noch einmal bestätigt und bis Ende April 2018 verlängert.
Die Peschmerga stabilisieren auch das Umfeld des Flüchtlingscamps Mam Rashan, das von den Lesern der „Schwäbischen Zeitung“unterstützt wird. Mehr als 5000 Menschen habe die Bundeswehr seit Februar 2015 im Raum Erbil im Nordirak ausgebildet, berichtet ein Sprecher des Einsatzführungskommandos. Daneben habe Deutschland nach Angaben der Bundeswehr seit September 2014 etwa 32 000 Handwaffen, mehr als 30 Millionen Schuss Munition und weitere Ausrüstung geliefert. Insbesondere die Panzerabwehrrakete vom Typ Milan war den Kämpfern nützlich. Mit Waffen und Ausrüstung unterstützt die Bundeswehr sowohl die Peschmerga als auch die irakische Zentralregierung.
Ausbildung rettet Leben
Die deutsche Ausbildung erhalten aktuell nur ausgewählte Peschmerga-Kämpfer. „Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Befähigung der militärischen Führer und Unterführer, in Zukunft selbst ausbilden zu können“, sagt ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr. Es gebe beispielsweise Lehrgänge zu Waffenausbildung und Erster Hilfe. „Dies hat vielen Peschmerga in der Vergangenheit das Leben gerettet, weil die Versorgung von Verwundeten vorher meist nur mit rudimentären Mitteln erfolgt ist“, so der Sprecher weiter. Grund für den Einsatz war die Ausbreitung des IS: Das Mandat ist im Januar 2015 erstmals genehmigt worden, als die Terroristen Teile des Nordiraks unter Kontrolle gebracht hatten, erklärt die grüne Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“(siehe Interview). Die Peschmerga sollten die Menschen besser vor dem Terror des IS verteidigen können.
Zuvor, im August 2014, hatte der IS hunderttausende Jesiden und Christen aus ihrer Heimat in der Ninive-Ebene und dem Shingal-Gebirge vertrieben: Zuflucht fanden die Menschen in Camps wie in Mam Rashan oder Sheikhan, in die Mittel aus der Weihnachtsspendenaktion der „Schwäbischen Zeitung“fließen.
Sieg über den IS erklärt
Doch die Situation hat sich geändert: Mittlerweile ist der IS weitestgehend zurückgedrängt. Nach mehr als drei Jahre langen Kämpfen hat Iraks Ministerpräsident Haidar al-Abadi den Sieg über den IS erklärt. Dennoch: „Ideologische Faszination übt er nach wie vor aus“, sagt der FDP-Bundestagsabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff über den IS. Deshalb sei die deutsche Unterstützung nach wie vor sinnvoll und richtig.
Das sieht Die Linke anders. Nach der militärischen Niederlage des IS bekräftigt die Partei noch einmal ihre Forderung, den Bundeswehr-Einsatz zu beenden. Der ursprüngliche Grund des Einsatzes sei damit entfallen. Die Partei sieht auch die deutschen Waffenlieferungen kritisch: Denn die Peschmerga sind keine staatliche Armee, sondern unter der kurdischen Regionalregierung weitestgehend autonom organisiert.
Die irakische Zentralregierung in Bagdad hat eine eigene Armee, die dem Regierungschef Haidar al-Abadi unterstellt ist und mit der die Peschmerga öfter in Konflikte geraten. Insbesondere vor dem Hintergrund des kurdischen Unabhängigkeitsreferendums, bei dem die Regionalregierung in Erbil eine vollständige Eigenständigkeit gegenüber dem Irak
erreichen wollte, hatte es schwere Gefechte zwischen der irakischen Armee und den Peschmerga gegeben. Deswegen befürchtet der Linken-Bundestagsabgeordnete Matthias Höhn, dass Deutschland bei der Unterstützung beider Parteien zwischen die Fronten gerät.
Durch die zahlreichen Waffenlieferungen seien bereits deutsche Waffen auf dem Schwarzmarkt erhältlich und bei innerirakischen Konflikten im Einsatz, so Höhn. Wegen der angespannten Sicherheitslage nach dem Referendum wurde die Ausbildung seitens der Bundeswehr zwischenzeitlich für etwa eine Woche ausgesetzt.
Doch im Irak stehen sich nicht nur der IS, die Peschmerga und die irakische Armee gegenüber. Es kämpfen viele verschiedene Gruppen gegen den IS. Diese sind aber teilweise zerstritten. Die Peschmerga sind beispielsweise in sich gespalten.
Außerdem gibt es schiitische Milizen, die in der Region mitkämpfen. Sie unterstehen al-Abadis Befehlen, führen allerdings ein Eigenleben. Finanziert und damit gesteuert werden sie vom schiitischen Iran, der einen eigenen kurdischen Staat im Nordirak vehement ablehnt.