Torhüter für gehobene Aufgaben
Sven Ulreich kehrt zu seinem Herzensclub VfB Stuttgart zurück – als Nr. 1 der Bayern
Jupp Heynckes neigt nicht zu Übertreibungen. Doch dieser Satz kann getrost als Untertreibung bezeichnet werden. „Ich weiß, Stuttgart ist kein unwichtiges Spiel für ihn“, sagte also der Trainer des FC Bayern München am Freitag. Gemeint war Sven Ulreich, für den es heute am letzten Hinrundenspieltag (15.30 Uhr/Sky) in seinem alten Stadion gegen seinen alten Club geht. „Beim VfB bin ich groß geworden, es ist nach wie vor mein Herzensclub, ich habe mit meiner Familie in Stuttgart ein Haus gebaut. Ich werde der Stadt und dem Verein immer eng verbunden sein, zumal ich nach meiner Karriere wieder in Stuttgart leben werde“, sagte er den „Stuttgarter Nachrichten“.
Natürlich ist Ulreich ein wenig unverhofft in die Situation gekommen, nach seinem Wechsel als Nummer 1 des VfB 2015 nun als aktuelle Stammkraft auch des Rekordmeisters nach Stuttgart zurückzukehren. Manuel Neuer laboriert an einer äußerst hartnäckigen Fußverletzung. Ulreich ist so zu deutlich mehr Einsätzen bei Bayern gekommen, als er hoffen konnte. 19 Spiele absolvierte er in dieser Saison wettbewerbsübergreifend bereits. Vor allem aber: Nach einigen, teils slapstickartigen Wacklern zu Beginn – beim 2:2 gegen Wolfsburg boxte er sich den Ball selbst ins Gehäuse, beim 0:3 in Paris strahlte er enorme Unruhe aus – ist der 29-Jährige zu einem der Gesichter des Münchner Aufschwungs unter Heynckes geworden.
„Es war eine gute Hinrunde für mich“, sagte Ulreich, der ebenso untertreiben kann wie sein Coach. Noch besser würde die Hinrunde für ihn werden, wenn er „seinen“Club, zu dem der in Schornach geborene Keeper einst als Zehnjähriger kam, besiegen würde. Den seit vier Spielen sieglosen Aufsteiger würde eine Pleite im Südgipfel eher unbequeme Weihnachten bescheren, im ungünstigsten Fall könnte der VfB sogar in der Abstiegszone überwintern. VfBCoach Hannes Wolf forderte von seinen Spielern darum einen couragierten Auftritt. „Bei Bayern darfst du nicht nur auf die fußballerische Qualität schauen, sie können auch reinhauen. Da müssen wir uns wehren, dürfen nicht in Ehrfurcht erstarren“, sagte Wolf.
Wolf war, wie die meisten jetzt handelnden Personen beim VfB noch nicht im Amt, als Ulreich den Club verließ – weniger im Guten, als er es sich gewünscht hätte. Am Donnerstag stellte er im Interview mit den „Stuttgarter Nachrichten“etwas klar. Die Darstellungen, dass er seinerzeit auf einen Vereinswechsel gedrängt habe, seien falsch. „Das stimmt so nicht. Ich wollte nicht weg“, sagte er. Die damalige VfBFührung habe ihm verdeutlicht, „dass man nicht mehr bedingungslos auf mich setzt. Ich wurde gefragt, ob ich mich nicht mal nach etwas Neuem umschauen wolle“.
„Eindeutiges Zeichen“
Dies sei ein „eindeutiges Zeichen“gewesen. Auf das er mit dem überraschenden – und für viele unverständlichen – Wechsel nach München reagierte. Dass sich ein reichlich unter 30-jähriger Bundesliga-Stammkeeper freiwillig bei Bayern auf die Bank setzt, hatte es noch nicht allzu oft gegeben. Doch Ulreich wurde in seinen zweieinhalb Jahren in München besser.
Das Training mit Manuel Neuer und Torwarttrainer Toni Tapalovic und vielleicht auch dieses vielzitierte, schwer zu fassende, aber wohl bestimmt irgendwie existierende Bayern-Gen, scheinen aus dem guten, aber etwas unbeständigen Bundesligakeeper Ulreich tatsächlich einen Torhüter für gehobene Aufgaben gemacht zu haben.
Erst vergangene Woche hat Heynckes den Bayern-Bossen geraten, mit Ulreich „so schnell wie möglich die Vertragsgespräche aufzunehmen, um den Vertrag zu verlängern“. Der Neuer-Vertreter habe eine „riesige Entwicklung“genommen, „er ist von Spiel zu Spiel immer besser geworden, er hat zum Teil überragend gehalten“. Heynckes weiß so gut wie Präsident Uli Hoeneß, Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und sicher auch Ulreich selbst, dass die Vertragsverlängerung vor allem am Keeper hängen dürfte. In dieser Form verdient er eigentlich einen unumstrittenen Stammplatz bei einem ambitionierten Club.
Nun stehen aber zunächst zwei weitere Spiele für Bayern bis zur Winterpause an, am Mittwoch geht es im Pokal noch gegen Dortmund. Dass Ulreich zuletzt zwei Partien mit Muskelproblemen verpasste, dürfte ihn nur angestachelt. Zumal ihn Heynckes nur vorsichtshalber von „Alterspräsident“(Heynckes) Tom Starke, 36, vertreten ließ.