Der Teamgedanke lebt
Deutsche Skispringerinnen überzeugen bei erstem Weltcup-Mannschaftswettbewerb – trotz Svenja Würths Sturz
HINTERZARTEN - Carina Vogt lächelte. Zwei Stunden war es her, dass Nicole Maurer an diesem 16. Dezember 2017 die Lufthoheit über Hinterzartens Adlerschanze erobert hatte. Um 12.34 Uhr tat die 17-Jährige vom Altius Nordic Club aus Calgary, was sie von klein auf tut – mit Leidenschaft: Nicole Maurer flog. 86 Meter weit. Jetzt war die Kanadierin die erste Skispringerin im ersten Teamwettbewerb der Weltcup-Geschichte. Und Carina Vogt, die Olympiasiegerin und Weltmeisterin vom SC Degenfeld, sagte: „Heute waren elf Teams am Start, das ist dann doch eine Anzahl, die der Internationale Skiverband uns nicht unbedingt zugetraut hat. Und es ist einfach cool zu sehen, dass es wirklich elf Nationen mit vier Starterinnen gibt, die diese Schanze springen können. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung.“
Von Paula Reichsgräfin von Lamberg hat nach diesem Schritt niemand gesprochen. Ein gutes Zeichen. Als Frauen 2009 in Liberec erstmals um Weltmeister-Meriten skisprangen, kam das Wort auf die Blaublütige. Vor der Weltcup-Premierensaison, feminin (dem Winter 2011/12): die Adlige aus Kitzbühel! Und auch die Olympischwerdung der Sportart in Sotschi war 2014 – natürlich! – Anlass, jene Dame nochmals zu bemühen, die 1911 in ihrer Heimat der Luftfahrt mittels zweier Sprungski frönte. Mit weißer Wollmütze, langem schwarzen Rock, laut Augenzeugen tadelloser Haltung – und einer Landung bei 22 Metern.
Vergangene Zeiten! Skurriles sucht man vergebens im Frauen-Skispringen anno 2017. 22-Meter-Hüpfer sind Historie. Die Gegenwart/Zukunft: 67 Starterinnen aus 15 Nationen im Training zum Hinterzartener Einzelwettbewerb, 29 von ihnen noch keine 20 Jahre jung, nur zehn 25 und älter. Und: Das Niveau stimmte. Im Teamspringen ganz besonders bei Sieger Japan um Sara Takanashi und Yuki Ito, bei den zweitplatzierten Russinnen und Frankreichs aufstrebendem Quartett als Drittem. Längst hat sportliches Können Vorurteile und fragwürdige küchenmedizinische Expertisen (etwa von platzenden Gebärmüttern) gekontert. „Immer positiver wahrgenommen“, sagt Carina Vogt, werde man.
Aus gutem Grund: Vogt selbst (94 und 104,5 Meter), Juliane Seyfarth (102; 98) und die GesamtweltcupFührende Katharina Althaus (106; 106,5) gehörten im Hochschwarzwald zum Besten, was die Premiere der Mannschaftskonkurrenz zu bieten hatte. Svenja Würth war im ersten Durchgang nach 97 Metern gelandet, im tiefen, stumpfen Neuschnee. Böse ihr Sturz – Bangen, Umarmungen, Tränen. Als später die Nachricht die Runde machte, dass die 24-Jährige vom SV Baiersbronn über Schmerzen im linken Knie klage, Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen aber auszuschließen seien, war Deutschland Vierter geworden, mit nur sieben gewerteten Sprüngen, 9,9 Punkte nur entfernt vom Podium.
Das Los der Kollegin wühlt auf
Eine „hervorragende Leistung“, befand Bundestrainer Andreas Bauer, freuen aber wollte er sich nicht. Zu sehr hatte Svenja Würths Pech aufgewühlt (über Art und Schwere der Blessur wird eine Magnetresonanztomographie zu Wochenanfang Aufschluss geben), zu sehr nagte das Unverständnis über die Jury: Bei dichtem Schneetreiben und bekannt schwierigem Schanzenradius seien Anlaufverkürzungen schlicht unumgänglich. Andreas Bauer: „Da muss ich sagen: ,Bei 100, 102 Meter ist Schluss.’ Da muss ich den Wettkampf anders steuern.“
Das Los Svenja Würths beschäftigte. Auch Carina Vogt. Da war dieser historische Tag, den sie, die engagierte Vorkämpferin für Schanzengleichheit, so herbeigesehnt hatte. Da war der Gedanke an die Teamkollegin, der das Lachen zum Lächeln schrumpfte. Zum gequälten Lächeln, als Carina Vogt sagte: „Es war jetzt an sich für die Wettkampfform ein gelungener Einstand.“Und Juliane Seyfarth ergänzte: „Für uns als Team ist es natürlich toll, wenn da nicht jede für sich springt, sondern wir für uns alle.“Mitleiden inklusive. Katharina Althaus: „Man versucht, sich da trotzdem zusammenzureißen, sich auf sich zu konzentrieren.“
Katharina Althaus im Einzel Zweite
Gelungen! Auch am Sonntag, beim 100. Einzelspringen der Frauen-Weltcup-Historie. Noch ein Meilenstein. Und – nach einem Abend mit vielen Gesprächen, auch mit Svenja Würth – noch ein kollektiv feiner deutscher Auftritt bei diesmal idealen Bedingungen. Die Frau in Gelb muss sich die Weltcup-Gesamtführung nun zwar mit der bärenstarken Tagessiegerin Maren Lundby aus Norwegen teilen (105 und 102 Meter; 269,1 Punkte); hadern jedoch wollte Katharina Althaus (102,5 und 99 Meter; 254,7 Punkte) mit Rang zwei im Adler-Skistadion nicht. Ewas spät sei der erste Versuch gewesen, deshalb „nicht ganz so geglückt. Aber trotzdem bin ich zufrieden mit meiner Leistung dieses Wochenende.“Ramona Straub, die Schwarzwälder Überraschungsvierte aus Langenordnach, war in erster Linie erstaunt, dass ihr nur 0,2 Punkte zur über Jahre so dominanten Sara Takanashi – und damit zum Podium – fehlten. Carina Vogt als Sechste gelangen „heute im Einzel die besten Sprünge hier“, Juliane Seyfarth erreichte ihr stärkstes Saisonresultat, Platz acht. Und Bundestrainer Andreas Bauer fand das alles „unfassbar. Das hätte ich heute nicht erwartet – nach dem Ausfall von der Svenja.“
Die, obwohl nicht an der Schanze, war auch am Sonntag präsent: „Gute Besserung, Svenja“stand auf den Handschuhen der DSV-Springerinnen. Der Teamgedanke lebte – an Tag eins nach Teamwettbewerb eins.