Schwäbische Zeitung (Wangen)

Polizei angerufen und Straftaten erfunden

65-Jähriger fühlte sich in zwei Fällen angegriffe­n, kann sich aber an einen nicht mehr erinnern – Richterin: Das ist Missbrauch des Notrufs

-

KEMPTEN/OBERALLGÄU (mig) Das Handy eines Selbstmord­gefährdete­n wurde nicht geortet, und mehrere Notrufe konnten in der Einsatzzen­trale nicht entgegenge­nommen werden, weil ein 65-Jähriger im Juni die 110 wählte – obwohl er überhaupt nicht in einer Notlage war. Deshalb stand der Oberallgäu­er jetzt vor Gericht. Angeklagt war er wegen des Missbrauch­s von Notrufen in zwei Fällen. Zudem wurde ihm falsche Verdächtig­ung vorgeworfe­n, weil er behauptet hatte, geschlagen worden zu sein, obwohl das außer ihm niemand gesehen hatte. Richterin Brigitte Gramatte-Dresse verurteilt­e den Angeklagte­n zu einer Freiheitss­trafe von fünf Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Zweimal hatte der 65-Jährige im Juni nach Streitigke­iten die Notrufnumm­er gewählt. Einmal, weil er von einer Parkbank aus beobachtet hatte, dass jemand vor einer Einfahrt parkte. „Er hat mich am Arm gepackt und gesagt, ich schlag Dir in die Fresse“, behauptete der Angeklagte vor Gericht, von dem Fahrer des Wagens attackiert worden zu sein. Die Glaubwürdi­gkeit des 65-Jährigen schmälerte, dass er der festen Überzeugun­g war, beide Vorfälle hätten sich an einem Tag abgespielt. Dabei lagen Tage dazwischen. „Zweiter Fall, gleiche Parkbank, vier Tage später“, sagte ein Polizist im Zeugenstan­d. An den zweiten Vorfall vor einem Dönerstand konnte sich der Angeklagte nicht mehr erinnern. „Wenn der Angeklagte beim Anruf schon nicht mehr weiß, was er angezeigt hat, muss er weniger trinken“, sagte Richterin Gramatte-Dresse.

In beiden Fällen gab der 65-Jährige an, selbst geschlagen worden zu sein. Daraufhin fuhr die Polizei zum Tatort, wo sie den 65-Jährigen auf der Parkbank auffand, wo er nach Zeugenauss­agen seine Tage mit einer Weinflasch­e verbringt. Beim zweiten Einsatz zeigte er den Beamten die gleiche Verletzung wie beim vorangegan­genen Anruf.

„Der Notruf ist dafür da, wenn jemand wirklich in Not ist“, wählte die Richterin deutliche Worte. „Wenn Sie jemanden anzeigen wollen, können Sie zur Polizei gehen. Nur wenn die Situation akut gefährlich ist, sollten Sie den Notruf anrufen – wenn es um Leib und Leben geht.“

„Ich fühle mich nicht richtig behandelt“, verteidigt­e sich der Angeklagte. „Ich dachte, die Notrufnumm­er ist dazu da, Leuten zu helfen, die in Bedrängnis geraten.“Schließlic­h wurde der mehrfach vorbestraf­te Angeklagte zu einer Freiheitss­trafe von fünf Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das hatte auch der Staatsanwa­lt gefordert. Zudem muss der 65-Jährige 1500 Euro zahlen. Der Angeklagte ließ am Ende offen, Rechtsmitt­el gegen das Urteil einzulegen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany