Ein Silberrücken erklärt das Leben im Nebel
Uli Boettcher philosophiert über die Befindlichkeiten der 50-jährigen Männer von heute
WANGEN - Der Kabarettist Uli Boettcher hat zum Jahreswechsel als „Silberrücken im Nebel“den über 50Jährigen den Spiegel vorgehalten. Zum großen Vergnügen aller, die sich in zwei ausverkauften Vorstellungen diesem spannenden Thema nähern wollten. Selten wurde in der Hägeschmiede so gelacht.
Animalisch, zärtlich und wild – ist der Mann um 50 wirklich in den besten Jahren? Uli Boettcher muss es wissen, hat er diese Altersgrenze doch selber schon überschritten. Und ohne mit der Wimper zu zucken vergleicht er sich mit einem Silberrücken, der in einer Gorilla-Gruppe dank seiner Kraft und Erfahrung verantwortlich für das Wohlergehen des Rudels ist.
Nachdem Boettcher minutenlang versucht hat, die Vorzüge eines gereiften Mannes zu kommentieren, knickt er urplötzlich ein. Er betrachtet seine lädierten Knie, sieht Hoffnungen und Haare weichen und Enttäuschungen aufsteigen. Er steht im Nebel. Und nachdem er sich bei gleichaltrigen Besuchern im Saal Rückendeckung hinsichtlich „Radfahren ist das einzige, was uns an Sport geblieben ist“geholt hat, stellt er resigniert fest: „Wir sind auf direktem Weg zum Recycling.“Um diesen Begriff noch näher zu spezifizieren: „Es geht zurück zum Säugling!“
In diesem Spagat zwischen „Unzulänglichkeiten annehmen“und „in Depression verfallen“geht es einen heiteren Abend lang weiter. Da blüht Boettcher völlig auf, wenn er sich über weggeworfene McDonalds-Tüten, aus dem Auto entsorgte Zigarettenkippen und in der zweiten Reihe parkende Autos aufregt und die Guillotine als gerechte Strafe wieder einführen will, um nach einer kurzen Gedenkminute zu bekennen: „Irgendwann träumst Du nicht mehr von Kanada, sondern vom Kanapee.“
Apropos Träume. Der 19-jährigen Julia, die seiner Meinung nach nur mit ihren Eltern mit in die Hägeschmiede gekommen ist, um sich den Zuschuss zum Studium nicht zu ver-
„Wir sind auf direktem Weg zum Recycling.“
scherzen, gibt er den guten Rat: „Gestalte Deine Vorstellung von einem Traummann so, dass möglichst viele der gewünschten Facetten übrig bleiben.“Auch der 50-Jährige in der ersten Reihe darf als Spiegel und Reflektor für den Kabarettisten herhalten: „Silberrücken sind Leader – aber mal ehrlich, eher Anführer einer Polonaise ins Grab.“
Die Frau seines imaginären Freundes Gregor lässt Uli Boettcher etwas später den Beziehungsstatus „50 plus“erklären: „Früher waren wir ein Herz und eine Seele. Später dann wie zwei Nieren, die gut geschafft haben, aber jeder auf seiner Seite. Heute sind wir wie Blinddarm und Darm: Du bist zu nichts zu gebrauchen und ich kümmere mich um Uli Boettcher über den gereiften Mann den ganzen Scheiß!“
Doch es kommt noch verrückter. Spaziergänge auf dem Friedhof sind für Boettcher mittlerweile zum Jungbrunnen geworden, bei Besuchen im Krankenhaus fühlt er sich „selten so vital“. Und was auf seinem Grabstein stehen soll, weiß er auch schon: „Es ist nur ein leichter Anflug von Tod.“Wie er gerne zugibt, Beerdigungen wegen der Nachrufe zu lieben.
Mit der Beteuerung „Wenn ich nicht verheiratet wäre, wäre ich schon längst tot“(laut Statistik leben verheiratete Männer nämlich deutlich länger) ist der mit viel Wortwitz und schauspielerischem Talent ausgestattete Tausendsassa bei seiner Familie angelangt. Vor allem bei der eigenen Mutter, die ihn in den ersten 20 Jahren nach der Geburt nicht mehr losgelassen hat – „und danach auch nur schwer“. Köstlich, wie Boettcher von ihr einen gespielten Telefonanruf entgegennimmt und sich von ihr fragen lassen muss, ob denn auch seine Fingernägel sauber und die Hemden gebügelt seien und er sich gesund ernähre. Und wie das Leben so spielt, so wiederholt er viele Jahre später, als seine Tochter vom Studienort aus anruft, genau die gleichen Fragen. Eine weitere Erkenntnis folgt auf dem Fuße: „Frauen lösen Probleme, nicht wir. Weil sie die einzigen sind, die Probleme haben!“
Versöhnliche Gedanken stellt Boettcher am Ende seines zweistündigen Programms an und sagt: Wir müssen lockerer werden“. Und zieht aus der Tasche Chips für die Einkaufswagen, die die Aufschrift „Lass stecken“tragen. Weil er es wörtlich meint, verteilt er am Ausgang stehend diese Chips an die Besucher und fordert dazu auf: „Lassen Sie sie stecken.“