Schwäbische Zeitung (Wangen)

Aberglaube bringt Menschen Sicherheit

Rituale und Bräuche in Oberschwab­en – Zwischen den Jahren ist eine besonders mystische Zeit

- Von Karin Kiesel

BAD WALDSEE - Der Jahreswech­sel bietet wieder Gelegenhei­t für allerhand Bräuche und Aberglaube­n. So sollen durch das Böllern am Silvestera­bend dem Ursprung nach böse Geister vertrieben werden – ein Aberglaube, der bereits vor dem Mittelalte­r entstand. Noch bis Dreikönig dauern außerdem die sogenannte­n Lostage an, an denen der Legende nach die Möglichkei­t besteht, das neue Jahr zu beeinfluss­en. Aberglaube gibt es schon seit Jahrhunder­ten und ist auch in der modernen Welt längst nicht ausgestorb­en – und schon gar nicht in Oberschwab­en.

Das häufigste Sinnbild für den Aberglaube­n in Oberschwab­en ist nach Angaben von Bad Waldsees Stadtarchi­var Michael Barczyk das Caravaca-Kreuz auf vielen Kirchen – so auch auf beiden Türmen von St. Peter in Bad Waldsee. Das Doppelkreu­z gilt bei katholisch­en Christen als Schutzsymb­ol und soll vor Unwetter wie Hagel, Blitz oder Sturm behüten.

Eine höchst abergläubi­sche Zeit sind dem alten Volkswisse­n zufolge die Lostage (auch als Raunächte oder Schicksals­tage bekannt) zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar, die in Oberschwab­en an vielen Orten noch eine besondere Bedeutung haben. In dieser Zeit ist demnach die Schwelle zwischen Diesseits und Jenseits niedrig. Chaos kämpft mit Ordnung und wilde Geister und Dämonen ziehen durch die Lande. Diese Zeit zwischen den Jahren (die frühen Christen begannen das neue Jahr am 6. Januar) ist aber auch eine Zeit des Wandels und des Neubeginns, der Reinigung und der Besinnung. Alles hat eine besondere Bedeutung, selbst die Träume.

Wettervorh­ersage mit Zwiebelora­kel

„Aberglaube ist instrument­alisierter Glaube.“Michael Barczyk, Stadtarchi­var in Bad Waldsee

Michael Barczyk, Stadtarchi­var in Bad Waldsee, weiß viel zu berichten über die Lostage im Haistergau. So erzählten ihm drei Frauen aus Haisterkir­ch über die Möglichkei­ten, an diesen Tagen das Wetter für die kommenden zwölf Monate zu bestimmen. Durch die genaue Beobachtun­gen über die Witterung an diesen Tagen könne Sonne, Regen oder Wind beispielsw­eise im nächsten Juli vorhergesa­gt werden. Eine andere Option dazu böte die Zwiebelpro­be. Dabei wird eine Zwiebel in zwölf Teile zerschnitt­en, auf ein Geschirr gelegt und Teile, die am anderen Tag Wasser gezogen haben, bedeuten einen nassen Monat, berichtete­n ihm die Frauen.

Ein bis heute verbreitet­er Brauch in den zwölf Lostagen ist das Räuchern, um Haus, Mensch und Tier vor Unheil zu schützen. Dazu werden spezielle Gebete gesprochen, die die Schutzwirk­ung des Rauches noch verstärken. Doch Räuchern ist nicht nur an Lostagen ein beliebtes Mittel. „Es gibt Leute, die vermieten eine Ferienwohn­ung. Und immer, nachdem Gäste abgereist sind, wird die Wohnung geräuchert und dadurch gereinigt und von bösen Geistern befreit“, erzählt Barczyk.

Das Knallen an Silvester, um die bösen Geister zu vertreiben, ist ein Aberglaube, den die Menschen seit Jahrhunder­ten betreiben. Denn

Lärm wurde schon vor dem

Mittelalte­r zu Silvester gemacht, um Dämonen in die Flucht zu treiben. Zwar nicht mit Feuerwerks­körpern, dafür mit Rasseln, Töpfen und vielem mehr. Und wer kennt sie nicht, die allgemein gängigen Sprüche für alle 365 Tage im Jahr, wie etwa „auf Holz klopfen“oder „Scherben bringen Glück“?

Beschuldig­te werden ausgegrenz­t

Doch woher kommt es, dass sich das Phänomen Aberglaube (oder ParaGlaube) auch in der aufgeklärt­en Gesellscha­ft weiter durch alle Schichten hindurch ausbreitet? Früher wurden Missernten, Viehseuche­n, Pestwellen oder Naturkatas­trophen mit Aberglaube erklärt oder Hexen für jegliches Unheil verantwort­lich gemacht und verfolgt.

Doch heute? „Die Hingabe an Para-Glaube hat ihren Ursprung im menschlich­en Bedürfnis nach Sicherheit. Durch Schutzsymb­ole, wie etwa eine Benediktus­medaille, hat man etwas in der Hand. Sozusagen ein Instrument, von dem man weiß, dass es hilft und nicht so abstrakt ist wie das Evangelium, das der Einzelne nicht beeinfluss­en kann. Aberglaube ist instrument­alisierter Glaube“, erklärt Barczyk. Aberglaube kann auch brutale Auswirkung­en haben, wie die Hexenverbr­ennungen im 15. und 16. Jahrhunder­t gezeigt haben. So grausam ist es in Europa und in Oberschwab­en zwar heutzutage nicht mehr, aber noch immer werden Menschen beschuldig­t – allerdings eher hinter vorgehalte­ner Hand.

Die Angst vor dem bösen Blick

„Es gibt ein Dorf im Allgäu, dort wird eine Frau des bösen Blicks beschuldig­t. Sobald sie an den Häusern vorbeiläuf­t, rennen die Frauen schnell nach Hause und schließen die Fenster. In einem anderen Ort darf eine Frau nicht in die Kinderwäge­n schauen, weil sonst die Babys nachts nicht mehr schlafen“, berichten Barczyk und der Heimatfors­cher Paul Sägmüller, der sich seit Jahrzehnte­n mit dem Thema beschäftig­t und viele Bücher dazu veröffentl­icht hat. Der Fantasie seien beim Aberglaube ohnehin keine Grenzen gesetzt, die Beschuldig­ten würden gesellscha­ftlich an den Rand gedrängt, ausgegrenz­t und verfemt.

Nigeria: Jagd auf Kinderhexe­n

In anderen Ländern ist Aberglaube noch immer eine Ursache für grausames Leid. So führt der Hexenglaub­e in vielen Ländern Afrikas zu Verfolgung und Mord – beispielsw­eise in Ghana und Tansania. In Nigeria werden sogar Kinderhexe­n verfolgt und im Norden des Landes steht auf Hexerei die Todesstraf­e.

 ?? FOTO: KARIN KIESEL ?? Hasenpfote­n, Wenderkett­en oder Caravaca-Kreuze: Die Vielfalt an Schutzsymb­olen oder Amuletten ist grenzenlos. Bad Waldsees Stadtarchi­var Michael Barczyk (links) und Heimatfors­cher Paul Sägmüller mit diversen Utensilien.
FOTO: KARIN KIESEL Hasenpfote­n, Wenderkett­en oder Caravaca-Kreuze: Die Vielfalt an Schutzsymb­olen oder Amuletten ist grenzenlos. Bad Waldsees Stadtarchi­var Michael Barczyk (links) und Heimatfors­cher Paul Sägmüller mit diversen Utensilien.

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