Debatten um Asyl- und Gesundheitspolitik
Leistungskürzungen und Bürgerversicherung: Union und SPD bringen sich in Stellung
BERLIN - Unmittelbar vor dem heutigen, ersten Spitzengespräch zur Regierungsbildung im neuen Jahr haben sich die Meinungsunterschiede von CDU, CSU und SPD verschärft. Die CSU-Abgeordneten im Bundestag wollen auf ihrer morgen beginnenden Winterklausur in Kloster Seeon eine harte Asylpolitik vertreten und Leistungskürzungen für Asylbewerber beschließen. Offenbar vor dem Hintergrund des Vorfalls im rheinland-pfälzischen Kandel, wo ein angeblich minderjähriger Flüchtling seine deutsche Ex-Freundin getötet haben soll, sollten Altersangaben minderjähriger Flüchtlinge obligatorisch überprüft werden.
Diese Positionen scheinen ebenso wenig mit denen der SPD vereinbar wie jene, die in den Tagen zuvor seitens der CSU durchgestochen wurden: die Erhöhung des Wehretats, die Begrenzung der EU-Integration und das Zurückdrehen sozialdemokratischer Bildungsreformen. Für die SPD wiederum erneuerte Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel die für die Union fragwürdige Forderung nach einer Bürgerversicherung im Gesundheitswesen. „Für uns geht es darum, die Ungleichbehandlung von privat und gesetzlich Versicherten zu beenden. Eine Zwei-Klassen-Medizin ist nicht länger hinnehmbar“, sagte Schäfer-Gümbel der „Schwäbischen Zeitung“.
BERLIN - Die von der SPD geforderte Bürgerversicherung gilt – neben dem Streit über Flüchtlinge – als einer der größten Knackpunkte für eine Neuauflage von Schwarz-Rot. Auch wenn den Sozialdemokraten klar ist, dass sie das Etikett „Bürgerversicherung“kaum gegen CDU und CSU durchboxen können, pochen sie auf konkrete Vereinbarungen zur Reform des Gesundheitssystems. Die Ungleichbehandlung von Privatund Kassenpatienten soll gestoppt, die Finanzierung wieder zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen und der Wechsel in die Gesetzlichen erleichtert werden. Strittig ist die politische Bewertung der SPD-Forderungen. Hier die wichtigsten Hintergründe zum Streitthema Bürgerversicherung.
Debatte um Zwei-Klassen-Medizin
Das Nebeneinander von gesetzlicher Krankenkasse und privater Krankenversicherung hat nach Ansicht der Befürworter der Bürgerversicherung zu einer Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland geführt. Tatsächlich verdienen Ärzte an Privatpatienten häufig mehr als an Kassenpatienten, weil die Kosten für medizinische Behandlungen bei den gesetzlichen Krankenversicherungen gedeckelt sind. Deshalb werden Privatversicherte im Wartezimmer gerne vorgezogen. Das bedeutet allerdings nicht, dass Privatpatienten immer besser behandelt werden. Im Gegenteil: Häufig werden sie überbehandelt und müssen manchmal Untersuchungen über sich ergehen lassen, die medizinisch nicht notwendig sind.
Bürgerversicherung
Auf ihrem Bundesparteitag Anfang Dezember einigten sich die Sozialdemokraten mit Blick auf Sondierungen mit der Union auf die Forderung nach einer bundesweit einheitlichen Bürgerversicherung. Anders als bisher sollen die Beiträge in der neuen Bürgerversicherung nur noch nach dem Einkommen gestaffelt werden, und nicht – wie derzeit bei den Privaten – etwa nach Alter oder anderen Kriterien. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen in Zukunft wieder die gleiche Summe in die Kasse einzahlen. Der nur vom Arbeitnehmer zu zahlende Zusatzbeitrag würde abgeschafft. Eine Einheitskasse plant die SPD aber nicht. Vielmehr eine Option, die sowohl von gesetzlichen wie privaten Kassen angeboten werden kann. „Die unterschiedlichen Krankenkassen und privaten Versicherungen bleiben auch mit der Bürgerversicherung bestehen“, heißt es in einem SPD-Positionspapier. Die Bürgerversicherung soll auch keine Zwangsversicherung sein. Privatpatienten steht es frei, in die neue Kasse zu wechseln, mögliche Altersrückstellungen blieben erhalten. Außerdem sollen mehr Steuergelder in die Bürgerversicherung fließen. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach schlägt darüber hinaus eine neue Honorarliste für Ärzte vor, die die Behandlungskosten nicht länger von der Versicherung abhängig macht.
Kosten
Die Beiträge der Versicherten sollen sich nach den Plänen der SPD durch die Bürgerversicherung nicht verändern. Die SPD erhofft sich von der Abschaffung der heute geltenden Zusatzbeiträge stattdessen eine Entlastung für Versicherte. Unklar ist noch, ob bei einer Bürgerversicherung auch die Beitragsbemessungsgrenzen fallen würden. Heute steigt der Krankenkassenbeitrag nur bis zu einem Einkommen von 52 200 Euro brutto im Jahr an. Wer mehr verdient, zahlt keine zusätzlichen Beiträge.
Reaktionen
„Wir halten die Bürgerversicherung für eine absolute Fehlentwicklung“, sagt der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Diese würde sich rasch zu einem „Turbolader in die Zwei-KlassenMedizin“erweisen, prognostiziert er. Wer es sich leisten könne, werde künftig neben der Bürgerversicherung Zusatzversicherungen abschließen. Er sagt voraus, dass sich das Problem dadurch weiter verschärfen wird. Eine Einheitsversicherung würde Zehntausende Arbeitsplätze vernichten und der Krankenversorgung Geld in Milliardenhöhe entziehen. Eine Studie im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft warnt, dass die Mehrkosten für die Arbeitgeber acht Milliarden Euro betragen würden – statt der von der SPD prognostizierten fünf Milliarden Euro.
Die Haltung der Union
Gesundheitspolitiker von CDU und CSU wollen das zweigleisige Gesundheitssystem erhalten. Sie sehen in den privaten Krankenversicherungen auch Geldgeber für medizinische Innovationen: Viele Ärzte könnten sich teure medizinische Geräte nur dank der Privatpatienten leisten. Davon würden am Ende auch Kassenpatienten profitieren, so das Argument. Außerdem sichere der Wettbewerb zwischen privaten und gesetzlichen Versicherungen die medizinische Qualität der ärztlichen Behandlung. In einigen Punkten deutet sich allerdings Kompromissbereitschaft an: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sagte, dass die Politik künftig mehr Steuergeld in die Gesundheit stecken könne, um die Bürger vor steigenden Beiträgen zu bewahren. Außerdem will sich auch die Union stärker für die Belange Selbständiger einsetzen. Diese werden heute häufig mit so hohen Beiträgen belastet, dass sie sich die privaten Krankenversicherungen kaum leisten können. Neue Honorarregeln für Ärzte, wie von der SPD gefordert, lehnt die Union bislang ab.