Mehr als Rhythmus
Die Yamato-Trommler aus Japan zu Gast in Stuttgart
STUTTGART - Gerade erst ist die Sonne über den waldigen Bergen von Asuka aufgegangen. Durch die Reisfelder, die sich hier terrassenförmig an den Hängen emporziehen, läuft bereits eine kleine Gruppe Männer und Frauen: das Yamato-Team. Allmorgendlich um 6 Uhr zieht es das bekannteste Taiko-Ensemble der Welt für eine Joggingstunde in die landschaftliche Idylle, wo einst im siebten Jahrhundert der japanische Kaiserhof seinen Sitz hatte.
„Dieser Kurs verleiht uns Energie“, sagt Masa Ogawa, der 1993 die Trommlergruppe gründete und bis heute ihr künstlerischer Leiter ist. Ogawa achtet darauf, dass die Regeln dieser Rhythmuskommune befolgt werden: Nach dem Lauf wird gemeinsam gefrühstückt, dann werden die Armmuskeln trainiert, im Reisfeld für eine Stunde mehr als 3000mal die Schlegel geschwungen. Ein gemeinsames Programm, das für die Musiker weit mehr ist als schlichte Körperertüchtigung: „Wenn wir etwas gemeinsam tun, dann komme ich dem anderen nicht nur körperlich näher – vor allem lerne ich, Kompromisse einzugehen.“Trommeln als Philosophie.
Mehr als ein Musikinstrument
Zu Mittag gibt es, natürlich zusammen eingenommen, traditionell Reis und Suppe – „auch wenn die Jüngeren eigentlich Burger und anderes Fast Food vorziehen“, wie der 49-Jährige schmunzelnd einräumt. Anschließend stehen Grundkenntnisse fürs Training der rhythmischen Trommelschläge auf dem Programm: Schließlich ist die Taiko – jene traditionelle japanische Trommel unterschiedlicher Größe, deren Korpus aus einem einzigen Stück Holz des Kejaki-Baums gefertigt und dann mit Fellen aus Pferde- oder Rinderhäuten bezogen wird – im Land der aufgehenden Sonne seit jeher nicht nur ein Musikinstrument gewesen. Es diente in den Ritualen der ShintoReligion der Götterbeschwörung, als Begleitung für traditionelle Tänze oder auch bei der Feldarbeit.
„Der Schlag der Taiko: Das ist weit mehr als nur ein Rhythmus“, erklärt Ogawa. „Wir wollen dem Publikum Energie fürs Leben vermitteln.“So wie nun in Stuttgart, wo die weltweit erfolgreichste Taiko-Truppe – Yamato spielte bereits in mehr als 50 Staaten vor über sechs Millionen Besuchern – von heute an gastiert. Trommeln, das sei für ihn und sein Ensemble Kommunikation. Um aber miteinander auf den Tierhäuten der Instrumente harmonieren zu können, müsse man die anderen möglichst nah im Alltag kennenlernen. Und so sitzen die Bandkollegen selbst am Abend noch zusammen, schnitzen gemeinsam aus dem weichen Holz der Hinoki-Scheinzypresse oder dem extrem harten japanischen Mooreichenholz ihre Sticks. Sinnieren über die Herausforderungen des Taiko-Schlags: „Das ganze Leben ist eine Herausforderung. Es geht darum, sich auf dem eigenen Lebensweg immer neue Herausforderungen zu suchen“, sinniert er.
Wilde Kreationen
Seinen jüngsten Meister hat Ogawa auf diesem Weg in Kansai Yamamoto gefunden: Jenem legendären japanischen Designer, dessen wilde Kreationen sich ebenso moderner Science-Fiction-Elemente bedienen wie jener klassischer Kabuki-Theater-Kostüme – und der nun für die neue Show „Chousensha“auch Yamato in farbenprächtige Outfits gewandet hat. 73 Jahre zählt der Modeschöpfer inzwischen, und doch sei die erste Begegnung mit ihm 2014 wie ein Jungbrunnen gewesen, erzählt der Yamato-Gründer. „Ich war damals erschöpft und ohne Inspiration und dachte über meinen Abgang von der Bühne nach – Yamamoto hat mir klar gemacht, dass es nicht zuvorderst um das Trommeln geht, sondern um die Weitergabe des Wissens und der eigenen Erkenntnisse an die nächste Generation.“Ein Lächeln huscht über seine Gesichtszüge: „Seither spüre ich eine neue Energie in mir und bin glücklich, dass ich diese mit den Jüngeren teilen und mich ihnen mitteilen kann.“
Doch kann solch intensives Zusammenleben am Ende des Tages nicht auch zu viel des Miteinanders sein? Der Japaner denkt einen Moment lang nach – und schüttelt dann den Kopf. „Es geht darum, sich auf den anderen einzulassen, sich über ihn Gedanken zu machen – und gerade unter Stress lernt man einander viel besser kennen.“Eine ganz eigene Künstlerphilosophie, der indes Streit fremd zu sein scheint: Statt sich anzuschreien oder gar körperlich zu kämpfen, wird mögliche Wut hier über die Trommelschläge abgebaut, sagen sich die Yamatos über die bis zu 500 Kilogramm schwere Odaiko die Meinung. Selbst wenn ein jeder von ihnen schon einmal den Wunsch gehegt hat, einfach ein wenig Freizeit für sich zu haben. Doch die gäbe es nun mal nicht, sagt Ogawa: „Privatsphäre gibt es nur auf der Toilette.“
Stuttgart, 3.-7. Januar, Theaterhaus, Karten unter 0711/4020720 oder www.theaterhaus.de