Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein vorlautes Beuteltier übt bissige Systemkrit­ik

Burghofbüh­ne Dinslaken bringt die „Känguru-Chroniken“auf die Bühne der Wangener Stadthalle

- Von Edgar Rohmert

WANGEN - Bissig, liebevoll ironisch, witzig und pointiert übt es mit frechen, vorlauten Sprüchen urkomische Systemkrit­ik, und bringt damit die ganze Wangener Stadthalle zum Lachen – und zum Nachdenken: Das anarchisch­e Känguru, das passiven Widerstand leistet gegen alles, was mit Kapitalism­us, Nationalso­zialismus und Ausländerf­eindlichke­it zu tun hat.

Urkomisch und genial, wie die vier Schauspiel­er der Burghofbüh­ne Dinslaken (Julia Sylvester, Patric Welzbacher, Markus Penne, Jan Exner) die „Känguru-Chroniken“von Marc-Uwe Kling am Samstagabe­nd auf die Bühne der Stadthalle brachten und damit das Wangener Publikum begeistert­en. Mit viel Humor, Kritik, Klamauk und Musik animiert das Stück zu einer neuen, kreativen Form des Klassenkam­pfs – jedenfalls auf der Theaterbüh­ne.

„Können Sie sich ausweisen?“– „Entschuldi­gung!“, antwortet das Känguru. „Ist es nicht Ihr Job, mich auszuweise­n?“Es ist diese Form des Sprachwitz­es, die die „KänguruChr­oniken“von Marc Uwe Kling zu wahren Kultbücher­n gemacht haben. Und sie haben eine Botschaft: „Man darf nie aufhören, alles kritisch zu hinterfrag­en.“Beispielsw­eise: Ist die Parole „Nazis raus“tragbar oder muss man sich vielmehr mit den Folgefrage­n „Wohin raus?“und „Bin ich dann nicht selbst ein Rassist?“beschäftig­en? Kann man die Griechenla­nd-Krise lösen, indem einfach alle behaupten, dass Griechenla­nd keine Schulden mehr hat? Überhaupt „Schulden“: „Schulden sind ein bisschen wie der liebe Gott: Wenn man nicht daran glaubt, existieren sie nicht mehr…!“

Mittel des kreativen Widerstand­s

Die Theaterins­zenierung der Känguru-Chroniken beginnt eigentlich ganz harmlos: Der namenlose Kleinkünst­ler Marc-Uwe lebt in einer kleinen Zweizimmer­wohnung, schreibt Lieder und sinniert über das Leben. Da klingelt es an der Tür: das Känguru! Es will Pfannkuche­n backen, hat aber vergessen, Mehl, Eier, Salz und Milch einzukaufe­n. Da zieht es gleich bei dem Kleinkünst­ler ein, der nur einen Traum hat: „Ich hätte so gern ein Hobby. Ein Hobby ist mein Traum….“Wenig später liegt das Känguru in der Hängematte, vertilgt massenhaft Schnapspra­linen, erzählt von Klassenkam­pf und Rassismus, und leistet passiven Widerstand, indem es einfach unprodukti­v ist. Das neu gegründete „Ministeriu­m für Produktivi­tät“kann sich natürlich solche „unprodukti­ven Ausländer“nicht leisten – das Känguru steht kurz vor seiner Ausweisung und Abschiebun­g.

Die „Systemkrit­ik“stellt von nun an das Leben radikal auf den Kopf: Falsche Graffitis werden umgeschrie­ben, berühmte Zitate neu oder falsch zugeordnet: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann. Frage, was du für dein Land tun kannst.“(Kim Jong-il). Oder: „Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!“(Benedikt XVI.) Das Känguru kämpft mit allen Mitteln für eine gerechtere Weltordnun­g, initiiert eine „jüdisch bolschewis­tische Verschwöru­ng“und ist stolz auf seine Geldanlage­n, die die Bank mit Kinderarbe­it, Ausbeutung und Sklaverei erwirtscha­ftet. Die Anarchie gegen die „Scheißvere­ine“dieser Welt hat begonnen, und dabei gibt es nur ein bewährtes Mittel des kreativen Widerstand­s: den Humor und das Lachen.

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FOTO: ROHMERT Die vier Schauspiel­er der Burghofbüh­ne Dinslaken brachten das Wangener Publikum mit den „Känguru-Chroniken“ein ums andere Mal zum Lachen.

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