Enthüllungen gegen die naive Brille
Enthüllungsjournalist Michael Wulzinger erzählt im RNG über die schmutzigen Geschäfte im Profifußball
WANGEN - „Football Leaks“ist eine Enthüllungsplattform im Internet, auf der seit Herbst 2015 dubiose Geschäfte, Steuertricks und Vertragsklauseln im Fußballgeschäft offengelegt werden. Größere Aufmerksamkeit in Deutschland erlang das Projekt Anfang 2016, als das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“Zugang zu Millionen dieser Dokumente bekam – die den Blick offenlegte auf die Schattenwelt der Branche. Die beiden „Spiegel“-Reporter Rafael Buschmann und Michael Wulzinger veröffentlichten 2017 das Buch „Football Leaks – Die schmutzigen Geschäfte im Profifußball“und legten so die offenbar grenzenlose Gier, die hinter den Kulissen des Fußballgeschäfts herrscht, offen. Wulzinger war am Montag zu Gast im Rupert-Neß-Gymnasium in Wangen.
Michael Wulzinger sitzt in der Aula der Schule auf einem Podest und liest. Vierzig Minuten trägt er vor, wie sein Kollege Buschmann in der Ich-Form im Buch vom ersten Treffen mit Football-Leaks-Whistleblower „John“berichtet. „John“, natürlich ein Pseudonym, und seine Kollegen von „Football Leaks“haben sich zur Aufgabe gemacht, versteckte Klauseln in Verträgen aufzudecken. Als er sich das erste Mal in einer unbekannten russischen Stadt mit Buschmann trifft, will er mit dem Projekt aussteigen. „Die Leute interessieren sich nicht für den Schmutz im Fußball“, resigniert er. Am Ende eines zweitägigen Aufenthalts in Russland händigt er Buschmann 800 Gigabyte Daten aus. Allesamt Verträge aus vielen Fußballligen in Europa. „Es gibt keinen Transfer mehr ohne Illegalität oder Tricksereien“, erklärt „John“bei der Übergabe.
Wulzinger liest leise, mit sanfter, ruhiger Stimme und verstärkt so noch den Bann, den das Geschriebene erzeugt. Buschmann und der „Spiegel“teilten die Daten mit über 50 Journalisten aus ganz Europa, gemeinsam werteten sie das Material aus. Größere Aufmerksamkeit erreichen die Journalisten, als der „Spiegel“eine Titelgeschichte über das Steuersparmodell des portugiesischen Weltfußballers Cristiano Ronaldo veröffentlicht. Darin beschreiben sie, wie Ronaldo über verschiedene Briefkastenfirmen sein Vermögen in Steueroasen in Übersee auslagert.
Die Zuhörer, es mögen 50 oder 60, vielleicht 70 sein, sind Schüler, Eltern und Lehrer. Sie hängen an den Lippen des Journalisten. Wulzinger führt Beispiele über dubiose Klauseln genauer aus. Er erzählt von absurd anmutenden Klauseln in Verträgen, die Fußballern zehntausende Euro an Prämien für Tore garantieren. „Das ist nicht illegal“, stellt Wulzinger klar. „Aber es verändert das Spiel.“Anschließend referiert er
über die ungeheure Macht der Spielerberater. Als etwa der Franzose Paul Pogba im August 2016 für eine an sich schon irreal anmutende Ablösesumme 105 Millionen Euro von Juventus Turin zu Manchester United wechselt, verdient sein Berater Mino Raiola 49 Millionen Euro an diesem Transfer. „Das Problem“, sagt Wulzinger, „ist, dass am Ende der Fan bezahlt. Der Fan kauft Trikots, bezahlt Eintritt fürs Stadion und finanziert diese Transfers so mit.“Die Zuhörer reagieren auf seine Ausführungen mit hochgezogenen Augenbrauen, Kopfschütteln, teilweise mit ungläubigem Lachen. Es scheint nicht greifbar, was für Summen hier im Spiel sind.
Michael Wulzinger
„Es geht uns um Transparenz“
Dann stellt sich Michael Wulzinger, der zusammen mit RNG-Studiendirektor Christoph Groß studiert hat und bereits zum dritten Mal der Einladung des Lehrers nach Wangen gefolgt ist, den Fragen der Zuhörer. Ob man denn am System mit solchen Enthüllungen überhaupt etwas verändern könne, will einer wissen. Die Leute kaufen ja trotzdem die Trikots. „Mag sein, dass wir nichts verändern können“, antwortet der Journalist. „Aber uns geht es um Transparenz. Wir wollen enthüllen, wie die Geschäfte laufen, wir wollen Fakten präsentieren. Am Ende muss dann jeder selbst entscheiden, ob er sich ein Trikot kauft.“Wulzinger antwortet detailliert und geduldig auf die Fragen. Manchmal verliert er sich in seinen Erzählungen kurz in Randgeschichten, findet aber schnell den Faden wieder.
Ob er Fußballspiele immer noch mit der selben Begeisterung wie früher schaue, will einer wissen. Wulzinger verneint: „Meine Begeisterung für das Spiel ist erkaltet. Ich schaue weniger Fußball, sehe ihn auch anders. Ich weiß ja jetzt viel mehr über die Spieler.“Einen Großteil der Dinge aus den Verträgen veröffentlichen die Journalisten überhaupt nicht, weil er nicht von hohem öffentlichen Interesse ist. Spieler und Berater reagieren natürlich wütend auf die Enthüllungen, sie stehen unter besonderem Druck. „Dementiert hat bis heute niemand etwas“, schmunzelt Wulzinger.
Viele Schüler sind bei der Lesung anwesend. „Das Thema ist für Schüler vielleicht weniger spannend als für Erwachsene“, meint Christoph Groß. „Die glauben noch an ihre Helden, wollen die nicht beschmutzt haben.“Der Lehrer ist selbst glühender Fußballfan und hat das Buch seines Freundes gelesen: „Je tiefer ich in die Materie einsteige, desto mehr nimmt es mir die naive Brille.“
„Meine Begeisterung für das Spiel ist erkaltet.“