Überraschende Töne
Ein „Andocken an die Alltagssorgen“hat SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles der Großen Koalition empfohlen. Das „Andocken“assoziiert Bilder aus der Raumfahrt, von Politikern, die frei durch die Sphären schweben – auf jeden Fall aber in anderen Höhen unterwegs sind als Menschen in ihrem Alltag. Dass viele es genau so empfinden, ist in Berlin angekommen. Nicht zuletzt durch das schlechte Wahlergebnis für die großen Parteien. Es hat zwar etwas gedauert, doch Angela Merkels Regierungserklärung war jetzt über lange Strecken ein „Wir haben verstanden“. 30 Minuten lang ging es um die Flüchtlingskrise, um Fehler, die passiert sind, vor allem aber um die Auswirkungen, um jene Deutschen, die den Eindruck haben, sie müssten zurückstehen. Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Zusammenhalt nennt Merkel nun als Ziele ihrer Politik und präsentiert sich damit als Kanzlerin der eher etwas linken Mitte.
Zusammenhalt will sie als roten Faden ihrer Politik verfolgen. Die vielen Ankündigungen, Familien zu stärken und zu entlasten, in der Pflege einen ersten wichtigen Schritt zu tun, Kinderarmut zu bekämpfen und mehr Zusammenhalt zu schaffen, stellen – da die Regierung nicht wechselte – eine Mängelliste des eigenen Tuns dar. Merkel hat ehrlich zugegeben, dass für die Pflege älterer Menschen nicht ausreichend gesorgt ist und dass nach 2030 die Renten nicht sicher sind.
Die Kanzlerin hat ihre Politik bisher meist etwas verschwommen erklärt, selten kam sie so auf den Punkt wie diesmal und nie hat sie sich derart auf die deutsche Innenpolitik konzentriert. Sie hat, das mag ein Indiz für eine muntere Zusammenarbeit werden, Innenminister Seehofer in die Schranken gewiesen und noch einmal betont, dass der Islam zu Deutschland gehört. Und am Ende hat Angela Merkel für ihre vierte und voraussichtlich letzte Amtszeit die Deutschen aufgerufen, sich selbst zu überraschen, mit dem, was sie können. Merkel selbst hat überrascht. Nicht mit dem, was sie kann oder will, wohl aber mit dem, wie klar sie es will.