Amokfahrt löst Debatte über Poller in Innenstädten aus
Vorschlag von Innenminister Seehofer – Drei Opfer schweben noch in Lebensgefahr
MÜNSTER/BERLIN (AFP/epd/dpa) Während die Ermittler weiter nach den Motiven des Amokfahrers von Münster suchen und drei Schwerverletzte weiter in lebensgefahr schweben, ist in der Politik eine Debatte über den Nutzen zusätzlicher Betonsperren gegen Fahrzeugattacken in Innenstädten entbrannt. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte der „Bild“-Zeitung gesagt, dass Poller in Münster hätten helfen können. Die Behörden müssten die Aufstellung von Betonsperren „überall prüfen und wenn möglich verbessern“.
Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul äußerte sich am Montag im SWR allerdings skeptisch zum Vorschlag Seehofers. Der CDU-Politiker mahnte eine differenzierte Betrachtung der Lage an. „Die Antwort kann nicht sein, dass wir unsere Städte zubetonieren“, sagte er. Es müsse nun vielmehr „klug“nachgedacht werden, wie Sicherheit erhöht werden könne. „Es nutzt kein Poller, wenn jemand mit dem Messer herumläuft.“
Mit Blick auf den im Mai in Münster stattfindenden Katholikentag sagte Reul, das Sicherheitskonzept für diese Veranstaltung sei sehr gut und durchdacht. Dennoch wollen die Veranstalter und Behörden das Konzept nochmals auf den Prüfstand stellen. Zum größten Laientreffen der katholischen Kirche werden vom 9. bis 13. Mai mehrere Zehntausend Gäste in Münster erwartet. Sicherheit werde in seinem Bundesland unter anderem auch dadurch verstärkt, dass Polizei und Verfassungsschutz mehr Personal erhielten.
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer hat derweil die AfD-Spitze aufgefordert, zu den Äußerungen der Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch zur Amokfahrt Stellung zu nehmen. Bei den Tweets handele es sich um eine bewusste „Grenzübertretung“, sagte Kramp-Karrenbauer in Berlin. Es stelle sich die Frage an die Führung der AfD, „inwieweit sie solche Mitglieder in ihren Reihen, in der Bundestagsfraktion und auch an prominenter Stelle in der Partei duldet“, fügte Kramp-Karrenbauer hinzu. Sie erwarte von der AfD-Spitze, dass sie „ganz klar Position bezieht“.
Die bereits wiederholt durch streitbare Tweets aufgefallene von Storch hatte direkt nach den ersten Meldungen über die Amokfahrt bei Twitter nahegelegt, ein Flüchtling sei für die Tat verantwortlich.
Der 48-jährige Jens R. war am Samstag mit seinem Auto in den Außenbereich der Gaststätte Großer Kiepenkerl in der Münsteraner Altstadt gerast und hatte dabei zwei Menschen getötet und etwa 20 Menschen verletzt. Als Auslöser für die Tat wird eine psychische Erkrankung des Mannes angenommen.
MÜNSTER (dpa) - Nach der Amokfahrt mit insgesamt drei Toten in Münster kommen immer mehr Details über den Täter ans Licht. Zunehmend wird auch deutlich, warum der 48 Jahre alte Jens R. am Samstag seinen Campingbus in eine Menschenmenge steuerte und zwei Menschen mit in den Tod riss.
„Nach der bisherigen Analyse und Auswertung der vorliegenden Dokumente, Spuren und Aussagen sind die Ermittlungsbehörden sicher, dass der 48-Jährige in Suizidabsicht handelte“, erklärte Oberstaatsanwalt Martin Botzenhardt am Montagabend zu den bisherigen Ergebnissen. Bei der Durchsuchung der Wohnung des ledigen und kinderlosen Mannes sei unter anderem ein über einen Balken gelegtes Hanfseil mit Henkersknoten gefunden worden. Dieses Seil sei ein „eindeutiger Hinweis“.
Nach wie vor schwebten am Montag drei der Verletzten in Lebensgefahr. Unter den Opfern ist nach Informationen der „Bild“-Zeitung auch eine Volleyballerin des Bundesligavereins USC Münster. Die 21-Jährige sei in ein künstliches Koma versetzt worden, so die Zeitung. Insgesamt waren bei der blutigen Tat etwa 20 Menschen verletzt worden, die meisten aus der Region rund um Münster. Eine 51-jährige Frau und ein 65-jähriger Mann wurden getötet.
Herkunft der Waffe unklar
Der Täter hatte sich nach der Amokfahrt mit einem Campingbus in der Münsteraner Innenstadt in seinem Fahrzeug erschossen. Im Magazin der im ehemaligen Jugoslawien hergestellten Pistole hätten sich noch weitere Patronen befunden. „Offensichtlich wollte sich der Täter nach der Todesfahrt direkt selber richten“, erklärte der Leiter der Ermittlungskommission, Kriminalhauptkommissar Joachim Poll, in einer gemeinsamen Mitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft. „Bei einer Gesamtschau der Indizien sind wir uns sicher, der Täter handelte in Suizidabsicht.“Woher er die Waffe hatte, war zunächst unklar. „Wir konzentrieren uns jetzt mit unseren Untersuchungen insbesondere darauf, ein möglichst umfassendes Bild über das Verhalten des Täters in den Vorwochen zu erhalten“, sagte der Polizeipräsident von Münster, Hajo Kuhlisch. So wollten die Ermittler dessen Motivation verstehen.
Der Vater des Täters geht davon aus, dass eine psychische Krankheit seinen Sohn dazu getrieben hat. „Es war eine Krankheit, die ihn in zwei Welten hat leben lassen“, sagte der 79-jährige Möbeldesigner und fügte hinzu: „Er bildete sich etwas ein, was das Gegenteil der Wirklichkeit war.“
Deshalb glaube er auch nicht, dass die Polizei das Motiv der Tat jemals klären wird. „Das Motiv war die Krankheit in seinem Kopf.“Sein Sohn habe schon 2015 von Selbstmord gesprochen.
Der Vater bestätigte einen „Spiegel“-Bericht, wonach er schon 2015 dem sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt Münster erklärt hatte, dass sein Sohn suizidgefährdet sei. „Er hat damals am Telefon gesagt, es gehe ihm sehr schlecht. Da ist auch der Satz gefallen: „Vielleicht lebe ich ja nicht mehr lange.“Aufgrund des Hinweises habe Jens R. seinen Vater wegen Verleumdung angezeigt, berichtet der „Spiegel“.
Am Sonntag war bekannt geworden, dass der Mann wegen psychischer Probleme Kontakt zum Gesundheitsamt in Münster hatte und suizidale Gedanken formuliert hatte. In mehreren Schreiben hatte der Industriedesigner nach Medienangaben bereits eigene Schuldkomplexe und Zusammenbrüche beschrieben. Nach Informationen von „Spiegel Online“soll er zudem schon als Siebenjähriger überlegt haben, sich umzubringen.
Keine Hinweise auf Gefährdung
Wichtig für die Ermittler sind vor allem ein Schreiben, das in der sächsischen Wohnung des gebürtigen Sauerländers gefunden worden war, und eine Mail, die Jens R. Ende März an mehrere Bekannte geschrieben hatte. „Aus dem Inhalt ergaben sich vage Hinweise auf suizidale Gedanken, aber keinerlei Anhaltspunkte für die Gefährdung anderer Personen“, teilte die Polizei in Münster mit.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) rechnet damit, dass Kommunen sich nach der Amokfahrt erneut Gedanken über die Sicherheit in ihren Innenstädten machen. Auch der Katholikentag in Münster, das größte Laientreffen der katholischen Kirche (9. bis 13. Mai), will sein Sicherheitskonzept prüfen und am 24. April vorstellen.
„Poller können helfen“, sagte Reul zur Gefahrenabwehr und zu dem Vorschlag, mehr Hindernisse aufzustellen. „Wir können aber nicht alle Städte zupollern, wir brauchen auch Rettungswege.“