Doppeltes Verwirrspiel
Roman Polanskis Thriller über Kunst, Fantasie und die Realität dahinter
Delphine ist eine erfolgreiche Bestsellerautorin mit leichtem Burn-Out-Syndrom. Als sie ihr neuestes Buch bei einer Lesung mit anschließender Signierstunde vorstellt, lernt die Schriftstellerin Elle kennen. „Elle wie Elisabeth“, wie die Frau sich vorstellt. „Elle“heißt aber auch einfach „sie“auf Französisch, ist also ein austauschbarer Frauenname. Elle ist nicht nur ein Fan von Delphines Romanen, sie ist nicht nur erkennbar intelligent und sieht blendend aus, sondern sie hat auch alle Qualitäten einer Femme fatale: Überaus selbstbewusst und manipulativ scheint sie jederzeit Herrin der Situation.
Schnell wird Elle zu Delphines neuer „bester Freundin“. Sie dringt in deren Leben ein und verändert es, zunächst kaum merklich. Doch allmählich beginnen andere Freunde, sich Sorgen zu machen, denn die ohnehin labile Autorin verliert ihr inneres Gleichgewicht.
Aber ist die neue Freundin tatsächlich eine Bedrohung, wie die Filmbilder nahelegen? Oder wird diese Bedrohung nur von einer hysterischen Frau mit Schreibblockade konstruiert? Denn Elle versucht Delphine auch zum Schreiben zu motivieren. Sehen wir auf der Leinwand also nicht vor allem Delphines Sicht der Dinge? Diese Fragen und Zweifel an der sichtbaren Realität treiben den Thriller an.
Der Film handelt aber auch vom Wesen des Schreibens. Darum, wie Kunst und Fantasie in das richtige Leben eingreifen. Ist die Schriftstellerin verantwortlich für die Gefühle, die sie in ihren Lesern weckt?
„Nach einer wahren Geschichte“, dessen Drehbuch er zusammen mit seinem französischen Landsmann Olivier Assayas geschrieben hat, ist ein typischer Polanski-Film: virtuos inszeniert, spannend, doppelsinnig, zum Teil extrem konstruiert, aber voller Seitenhiebe auf die Wirklichkeit. Polanski erzählt hier eine „Intruder“Geschichte: Die Geschichte eines Eindringlings, der in der Welt der Hauptfigur das Kommando übernimmt. Erzählt wird von einer falschen Freundschaft und von sogenannten Frauenängsten – oder zumindest dem, was man gerne dafür hält: Hysterie, Blockaden, bipolare Störungen.
Polanski nutzt dieses Gerüst zu seinen gewohnt sarkastischen Kommentaren über den Zeitgeist, über urbane Einsamkeit und den Wahn, alles und jedes auf die Couch zu legen und zu therapieren. Der Regisseur spottet über Fans, über die fehlende Fantasie des Publikums, das nach einer scheinbaren Realität hungert – allerdings nur nach einer, an die es selber glauben möchte.
Der Künstler als Kannibale
Vor allem aber reflektiert Polanski hier die kannibalische Natur aller Künstler. Er porträtiert sie als Menschen, die für ihre Kunst über Leichen gehen, auch die eigene. Denn irgendwann beginnt Delphine, Elle zum Gegenstand ihres neuen Buches zu machen. So dreht sie den Spieß um, übernimmt die Macht in der Beziehung.
Jede Kunst, wie auch dieser Film, ist ein doppeltes Vexierspiel: Denn wie zu Beginn, so gibt es auch am Ende des Films wieder eine Signierstunde. Und das neue Buch heißt „Nach einer wahren Geschichte“– wie der Film. Aber auch wie die Buchvorlage von Delphine de Vigan. Und die Autorin heißt mit Vornamen genau so wie die Hauptfigur des Romans.
So ist dieser Film vor allem ein ungemein intelligenter Spaß, ein psychologischer Exkurs über das Schreiben und Nicht-Schreiben.
Nach einer wahren Geschichte. Regie: Roman Polanski. Mit Emmanuelle Seigner, Eva Green, Vincent Perez. Frankreich/Belgien 2017. 100 Minuten. FSK ab 12.