Am Bahnhof: Ticketservice per Video
Mitarbeiter kümmern sich von Kempten aus um elf digitale Reisezentren in Südbayern
OBERALLGÄU - Wer am Sonthofener Bahnhof eine Fahrkarte kaufen will, steht gleich vor einer Entscheidung: Links wartet der übliche Automat, rechts verbirgt sich derweil das Video-Reisezentrum hinter einer Glastür. „Das Persönliche fehlt schon ein Stück, weil man auf einen Bildschirm guckt“, sagt Fahrgast Florian Gerdes. Aber unkompliziert sei es und die Dame mit dem Headset konnte ihm gleich weiterhelfen. Wo einst Mitarbeiter der Deutschen Bahn (DB) saßen, ist heute nur noch ein heruntergelassener Rollladen zu sehen. Doch persönliche Beratung gebe es trotzdem, verrät ein Schild. Direkt nebenan, hinter der Glastür.
Dort müssen die Reisenden einen Knopf drücken, er sieht aus wie der Türöffner an einem Zug. Ein kurzer Signalton kommt aus den Lautsprechern, dann erscheint eine Sanduhr auf dem Bildschirm. Nur wenige Sekunden später erklingt der Ton erneut und eine junge Frau sitzt einem plötzlich virtuell gegenüber: „Wie kann ich Ihnen helfen?“Die Mitarbeiterin aus dem Videochat sitzt in Kempten. Dort kümmern sich vier Personen um die elf Video-Reisezentren in Südbayern. Einige von ihnen arbeiteten früher selbst an einem Schalter. „Die Nachfrage am Schalter-Verkauf ist immer geringer geworden“, heißt es auf Nachfrage von der Pressestelle der DB. Kleine Verkaufsstellen wie früher in Immenstadt oder Sonthofen lohnten sich nicht mehr, da sich immer mehr Leute ihre Tickets online oder am Automat holten. Als sie vor etwas mehr als zwei Jahren schlossen, traten an ihre Stelle die Videochats.
Denn einige Kunden wünschten sich nach wie vor eine persönliche Beratung. Die bekommen sie nun zu längeren Öffnungszeiten, sagt der Bahnsprecher. Wie viele Kunden genau das Videoangebot bisher genutzt haben, konnte er jedoch nicht sagen. Von der neuen Arbeitsweise profitiere auch das Personal. „Unsere Leute sind so gleichmäßiger ausgelastet.“Keine Stoßzeiten an einem Bahnhof mehr, dafür Schichtbetrieb. Mit Pfronten-Ried im Ostallgäu ist nun kürzlich ein Videoreisezentrum am Bahnhof eingezogen, an dem es seit längerem keinen Schalter mehr gab.
Bahnfahrer Florian Gerdes wäre mit seinem Problem am Automaten wohl nicht weit gekommen. Der 39Jährige muss eine Fahrkarte zurückgeben, ein Freund ist kurzfristig krank geworden. Das erklärt er auch der Frau auf dem Bildschirm, die daraufhin ein Formular für Gerdes ausdruckt – etwa 30 Kilometer von ihrem Büro entfernt. Das müsse er noch ausfüllen und mit der Fahrkarte in den Schlitz unterhalb des Bildschirmes schmeißen. Nur im Allgäu ist Gerdes bisher auf das Videoangebot gestoßen, zu Hause im Ruhrgebiet kenne er das nicht. „Irgendeinen Ersatz muss es ja geben“, sagt er mit Blick auf den geschlossenen Schalter. So wie Gerdes geht es auch Thomas Burbach. „Das habe ich noch nirgendwo gesehen“, erzählt der Regensburger. In Immenstadt nutzt er das Angebot zum ersten Mal, und ist begeistert. „Es ging sehr schnell, ich musste nichts selber machen“, sagt der 33-Jährige. Auf einem zweiten Bildschirm konnte er die Reiseinformationen mitverfolgen, am Automaten rechts zahlen und das Ticket dann mitnehmen.
Vor ihm kommt eine kleine Frau mit kurzen weißem Haar aus dem Reisezentrum mitten im Bahnhof. „Viele Senioren stehen mit dem Computer auf Kriegsfuß“, sagt die 77-Jährige. „Wir sind nicht damit aufgewachsen.“Mit den Automaten am Bahngleis ist sie überhaupt nicht zurechtgekommen. Kaum hat sie drei Buchstaben ihres Reiseziels eingegeben, schaltete der Bildschirm schon wieder um. Das Videoangebot funktioniere besser. „Man kann nachfragen wie bei jedem anderen Schalter auch und bekommt gesagt, was man machen muss.“Ganz zufrieden ist die 77-Jährige mit dem Angebot der DB dennoch nicht. Will sie von Immenstadt aus Tickets für Fahrten in Österreich buchen, stehe sie jedes Mal vor einer Herausforderung – wie damals am Schalter. Sie vermutet, dass die Buchung über das Internet leichter geht. Doch das sei nichts für sie.