Schwäbische Zeitung (Wangen)

Vier weitere Länder sollen sicher sein

Regierung will leichter in Maghreb-Staaten und nach Georgien abschieben können

- Von Petra Sorge

BERLIN - Schnellere Entscheidu­ngen, leichtere Abschiebun­gen: Die Bundesregi­erung will die Asylverfah­ren für Schutzsuch­ende aus drei Maghreb-Staaten und Georgien beschleuni­gen. Die vier Länder sollen als „sichere Herkunftss­taaten“eingestuft werden. Von den Grünen kommt Protest. Sie könnten den Gesetzentw­urf im Bundesrat erneut zu Fall bringen. Die Fakten zum Kabinettsb­eschluss vom Mittwoch:

Der Gesetzentw­urf:

Die Bundesregi­erung will die Liste der „sicheren Herkunftss­taaten“auf Tunesien, Marokko, Algerien und Georgien ausweiten. Danach gilt künftig die Vermutung, dass Asylbewerb­er aus diesen Staaten nicht verfolgt werden. Ihre Anträge sollen zügiger bearbeitet werden. Bei einer Ablehnung sollen die Betroffene­n schneller in die Heimat zurückgefü­hrt werden. Als sichere Herkunftss­taaten gelten bislang die Staaten der Europäisch­en Union, Ghana, Senegal, BosnienHer­zegowina, Mazedonien, Serbien, Montenegro, Albanien und Kosovo.

Persönlich­e Anhörung:

Anträge von Schutzsuch­enden aus sicheren Herkunftss­taaten sollen weiterhin individuel­l geprüft werden, erklärt das Bundesinne­nministeri­um. So sollen Bewerber bei ihrer persönlich­en Anhörung im Asylverfah­ren weiterhin Beweise vorlegen können, die ihren Schutzansp­ruch belegen.

Die Begründung:

Das Bundesinne­nministeri­um weist darauf hin, dass „nur ein kleiner Bruchteil“der Asylanträg­e aus den vier Ländern erfolgreic­h war. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) gingen 2017 rund 8700 Asylanträg­e aus diesen Staaten ein, entschiede­n wurden 15 000 Fälle, auch aus den Vorjahren. Die Anerkennun­gsquote für Georgien betrug 0,6 Prozent, für Algerien 2 Prozent, für Tunesien 2,7 Prozent und für Marokko 4,1 Prozent. Nach Einschätzu­ng der Regierung wird in diesen Ländern nicht systematis­ch gefoltert, auch herrscht dort kein Krieg. Die Einstufung soll auch eine Signalwirk­ung in der Heimat der Migrations­willigen entfalten: Sie sollen von einer möglichen Einreise nach Deutschlan­d abgehalten werden.

Ausnahmen:

Der Kabinettsb­eschluss beinhaltet auch eine Stichtagsr­egelung. Asylbewerb­er und Geduldete aus den vier Ländern, die bis zum Mittwoch eine Berufsausb­ildung oder einen Job begonnen hatten, sollen in Deutschlan­d bleiben dürfen. Das gilt auch für diejenigen, die einen gültigen Azubi- oder Arbeitsver­trag vorlegen können.

Hürden im weiteren Gesetzgebu­ngsprozess:

Der Entwurf muss durch Bundestag und Bundesrat. Knackpunkt wird die Länderkamm­er: Dort sind mindestens 35 der 69 Stimmen nötig. Wenn sich alle neun Bundesländ­er mit grüner Regierungs­beteiligun­g enthalten oder gegen den Entwurf votieren, scheitert er. „Für dieses Gesetz braucht man zwei Bundesländ­er mit grüner Beteiligun­g“, erklärte Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU). Länder mit grüner und linker Regierungs­beteiligun­g hatten im Bundesrat bereits 2017 einen Gesetzentw­urf platzen lassen, Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftss­taaten zu erklären.

Die Haltung der Grünen:

Von der Bundesspit­ze kommt Widerstand gegen das Vorhaben. „Noch immer gilt, dass in den Maghreb-Staaten Journalist­en, Minderheit­en und Homosexuel­le nicht sicher sind vor Verfolgung und Haft“, erklärte Parteichef Robert Habeck. „Daher sehe ich nicht, dass diese Staaten sicher sind.“Seine Parteikoll­egin Claudia Roth nannte den Kabinettsb­eschluss

einen „Angriff auf das Recht auf Asyl“. Die grün-schwarze Landesregi­erung in Baden-Württember­g hatte allerdings 2016 in ihrem Koalitions­vertrag festgehalt­en, dass man im Bundesrat der Ausweitung der sicheren Herkunftss­taaten auf Algerien, Tunesien und Marokko zustimmen werde, sofern verfassung­srechtlich­e Voraussetz­ungen erfüllt seien. Der Waffenbesc­haffer für den „ Nationalso­zialistisc­hen Untergrund“, Ralf Wohlleben, ist aus dem Gefängnis entlassen worden. Der 43- Jährige verließ am Mittwoch die Justizvoll­zugsanstal­t Stadelheim in München. Sicherheit­sbehörden rechnen damit, dass der frühere NPDFunktio­när nach seiner Freilassun­g aus der Untersuchu­ngshaft nach Sachsen- Anhalt zieht.

Im NSU- Prozess war Wohlleben am Mittwoch vergangene­r Woche zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Das Oberlandes­gericht hatte ihn der Beihilfe zum Mord schuldig gesprochen. Die Bundesanwa­ltschaft in Karlsruhe hatte dem ehemaligen NPD- Funktionär vorgeworfe­n, die NSU- Mordwaffe vom Typ „ Ceska“organisier­t zu haben. Damit hatten die Neonazi- Terroriste­n später neun Menschen erschossen.

Wohlleben war vor mehr als sechseinha­lb Jahren in Untersuchu­ngshaft genommen worden, weil die Gefahr bestand, dass er fliehen und sich so dem NSU- Prozess entziehen könnte. Seine Anwälte hatten nach dem Urteil Beschwerde gegen den Haftbefehl eingelegt. Am Dienstag sei dieser aufgehoben worden, teilte das Gericht mit.

Aus Sicht der Richter besteht keine Gefahr mehr, dass Wohlleben fliehen und somit dem weiteren Verfahren fernbleibe­n könnte. Sie argumentie­ren laut einem Sprecher vor allem damit, dass er nur noch maximal drei Jahre und vier Monate ins Gefängnis müsste.

Das Innenminis­terium in Magdeburg teilte auf Anfrage mit, dass Wohllebens Frau und gemeinsame Kinder ihren Wohnsitz in Sachsen- Anhalt haben. Noch ist das Urteil im NSUProzess nicht rechtskräf­tig. Unter anderem Wohllebens Rechtsanwä­lte hatten angekündig­t, die Entscheidu­ng vom Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe überprüfen zu lassen. Sollte das Urteil gültig werden, müsste Wohlleben seine Reststrafe antreten. Die Bundesanwa­ltschaft hatte Wohlleben außerdem vorgeworfe­n, er habe gewusst, wofür die NSU- Terroriste­n Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Pistole benutzen wollten. Wohlleben hatte die Vorwürfe bestritten. Er habe dem eigentlich­en Überbringe­r der Waffe nur auf Nachfrage einen Tipp gegeben. ( dpa)

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany