Stunde der Subkultur
Die Ausstellung „nineties berlin“des DDR-Museums führt in die wilden 1990er-Jahre
BERLIN (epd) - Nach dem Mauerfall wurde Berlin für einige Jahre zu einem großen Abenteuerspielplatz für Erwachsene. Das Berliner DDR-Museum lässt diese wilden 1990er-Jahre in Berlin in einer Ausstellung nun wieder aufleben. Die multimediale Schau „nineties berlin“versetzt den Besucher von Samstag an auf 1500 Quadratmetern zurück in eine Stadt, die sich wieder zusammenfinden musste und gleichzeitig ihren Bewohnern viele Freiheiten bot.
Während Politik und Verwaltung begannen, die Kreisläufe der Jahrzehnte geteilten Stadt mühsam wieder zusammenzuschließen, nutzten Abenteurer aus Ost und West in den 1990er-Jahren die entstandenen Freiräume für Neues, Kreatives, Verrücktes. Die maroden Altbauquartiere im Osten Berlins boten sehr viel Platz für Subkultur, Clubkultur, Verwirklichung von individuellen Lebensentwürfen, Kunst aber auch für Gesetzlosigkeit und Gewalt. In den innerstädtischen Vierteln in Berlin-Mitte zwischen Potsdamer Platz und Alexanderplatz standen ganze Straßenzüge leer, nachdem die letzten DDRBehörden abgewickelt waren.
Damit schlug die Stunde der Subkultur. Die Kreativen kamen, machten aus leerstehenden Ladengeschäften Ateliers und Galerien, verwandelten Kellergewölbe zu Clubs oder besetzten ganze Häuserzeilen zum Wohnen und Arbeiten. Das Kunsthaus „Tacheles“, ein ehemaliges Warenhaus in der Oranienburger Straße, der Techno-Club „Tresor“in den Kellerräumen des früheren Kaufhauses Wertheim oder die Loveparade als Berliner Variante von Karneval begründeten einen Ruf, von dem Berlin bis heute zehrt und profitiert.
Schon der dunkle Eingangstunnel am Anfang der Ausstellung in der Alten Münze zeigt, wohin die Reise geht: Er erinnert an einen Clubeingang und empfängt die Besucher mit wummernden Bässen. Auch sonst dominiert in den sechs Ausstellungsräumen die Farbe Schwarz unterbrochen von grellem Neon. In einem Raum zeigt eine Multimediashow einen Ritt durch die Berliner Geschichte vom Mauerfall bis zum Regierungsumzug Ende der 1990er-Jahre. Erinnert wird aber auch an die zum Teil schreckliche Vorgeschichte dieser Freiheitsjahre mit originalen Mauersegmenten und einer Installation aus 140 Kalaschnikows sowie den Namen aller Mauertoten.
Richtig spannend wird es in dem Raum mit 13 Videointerviews mit Zeitzeugen und Akteuren der 1990er-Jahre, darunter der Linkspolitiker Gregor Gysi, DJ Westbam, die Miterfinderin der Love Parade, Danielle de Picciotto, ein Bauunternehmer, ein Clubbetreiber. Da berichtet der frühere DDR-Polizist Andreas Schlüter von rechtsfreien Zeiten im Frühjahr 1990, als die demoralisierte und schlecht ausgerüstete DDRVolkspolizei plötzlich von Linken besetzte Häuser vor den Angriffen von Neonazis schützen musste. Sven Friedrich, Hooligan beim berüchtigten Fußballclub BFC Dynamo und Gründer eines Ladens für HooliganMerchandising, erzählt von Schlachten mit überforderten Ordnungshütern, die den Gewalttätern hoffnungslos unterlegen waren.
Der Musiker DJ Westbam blickt auf die Entwicklung Berlins zur House- und Technohauptstadt zurück und singt als gebürtiger Westfale das hohe Lied auf die „Energie“, die die Leute aus dem Osten in die Kreativszene mitbrachten. „Techno“, das sei der Soundtrack für das Lebensgefühl der 1990er-Jahre, sagt Westbam. „Das war ein Statement.“
„Wann erlebt man das schon mal, dass in der unmittelbaren Nachbarschaft sich eine komplett unbekannte Stadt auftut“, erinnert sich Künstlerin Danielle de Picciotto, der bereits 1995 die ersten Anzeichen dafür sah, dass es mit der produktiven Unordnung bald vorbei sein könnte. Der frühere Hausbesetzer Andreas Jeromin fasst das Lebensgefühl so zusammen: „Wir haben die beste Zeit erlebt. Mehr ging einfach nicht.“
Die Ausstellung „ nineties berlin“ist noch bis 28. Februar 2019 täglich von 10 bis 20 Uhr zu sehen. Eintritt: 12,50 Euro ermäßigt 8,50 Euro. Internet: