Verneigung vor Opfern und Mitstreitern von einst
Ottokar Seifert aus Ravensburg erzählt vom Gedenken an die Niederschlagung des Prager Frühlings
RAVENSBURG - Prag, 21. August 2018, am Vormittag: Vor dem Rundfunkgebäude der tschechischen Hauptstadt haben sich Menschen versammelt. Am Mikrofon spricht Ministerpräsident Andrej Babiš. Einige Demonstranten pfeifen und schreien, um den Redner zu übertönen. „Das hat mich gestört“, sagt der gebürtige Prager und heute in Ravensburg lebende Puppenspieler Ottokar Seifert. Er ist zum 50. Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings – nicht zum ersten Mal – in seine Heimatstadt gereist. Wie er sagt, um sich symbolisch zu verneigen vor den Mitstreitern und Opfern von damals.
Seifert hat damals die Invasion der Sowjets miterlebt, bei der rund 100 Menschen starben, wie die SZ berichtete. Er war am 21. August 1968 vom Motorengeräusch von Flugzeugen aufgewacht und sah wenig später, wie sowjetische Panzer in die Stadt rollten, um die Abkehr der Tschechoslowakei vom strengen Kommunismus zu stoppen. Dabei hatte die Liberalisierung in Seifert Hoffnung auf eine freiere Zukunft erweckt. Dieser Hoffnung beraubt, verließ er wenige Wochen nach dem Einmarsch sein Heimatland.
„Zu schreien war mir zu blöd“
Nach den Gedenkveranstaltungen zum 50. Jahrestag titelte eine tschechische Zeitung „Pietät, Gesang und Pfiffe“. Seifert hat sie mit nach Ravensburg gebracht. Auch er hat die Veranstaltung als unschön erlebt.
Er kritisiert nicht den Inhalt, sondern den Stil der Proteste vor dem Prager Rundfunkgebäude, wo vor 50 Jahren die heftigsten Auseinandersetzungen stattgefunden hatten. „Zu schreien war mir zu blöd. Das bringt nichts“, sagt er. Stattdessen hätten die Demonstranten das Gedenken gestört. „An so einem Platz muss man die Pietät wahren“, sagte er am Montag. Kaum Jugendliche dabeiAm Abend des 21. August war Seifert dann auf den Wenzelplatz im Zentrum der Stadt gegangen. „Da war es knallvoll.“Auf der Bühne erzählten Zeitzeugen von ihren Erinnerungen an 1968, wie Seifert sagt. Dabei sei es diszipliniert zugegangen. Junge Leute habe er unter den Anwesenden kaum entdeckt. Damit habe die tschechische Jugend eine Chance verpasst, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Dabei hält er genau das für die Voraussetzung, um die Zukunft in einer globalisierten Welt mitgestalten zu können.
Mit Freunden und Bekannten aus Tagen der Revolution hat er sich während seines einwöchigen Aufenthalts in Prag getroffen, sie haben Konzerte und Theateraufführungen besucht und diskutiert. Viele seien unzufrieden mit der tschechischen Politik. „Komm Du zu uns und mach was!“, habe er gesagt bekommen. Aber für einen Einstieg in die Politik sei es für ihn mit seinen 73 Jahren zu spät.