„Ein Filmemacher ist kein Biograf“
Interview mit dem Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck über seinen neuen Film „Werk ohne Autor“
BERLIN - Gleich mit seinem Abschlussfilm der Hochschule für Fernsehen und Film München, dem Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“(2006), erlangte Florian Henckel von Donnersmarck (45) OscarEhren und Weltruhm. Auch die zweite Arbeit des gebürtigen Kölners war ein kommerzieller Erfolg, wenn auch von der Kritik geschmäht: der stylishe Thriller „The Tourist“mit Angelina Jolie und Johnny Depp. Nun legt Henckel von Donnersmarck seinen dritten Kinofilm vor. „Werk ohne Autor“erzählt die Geschichte eines Künstlers, der in der Nazizeit aufwächst und später in der DDR und der BRD seinen Platz im Leben sucht. André Wesche hat sich mit dem Regisseur über das Freischwimmen, unterschätzte Träume und Gerhard Richter, dessen Leben als Vorlage zum Drehbuch diente, unterhalten.
Herr von Donnersmarck, was war es, das Sie an dieser Geschichte immer schon erzählen wollten?
Ich finde es immer spannend, vom ganz Kleinen ausgehend ins ganz Große zu springen. Einem großen geschichtlichen Ereignis wie der Bombardierung Dresdens seinen Raum zu geben, aber auch einem kleinen Pinselstrich, mit dem man dieses Ereignis vielleicht verarbeitet. Es geht in „Werk ohne Autor“um Opfer und Täter der Nazidiktatur, aber auch ganz einfach um einen Schwiegervater, der versucht, seinen Schwiegersohn zu zerstören, weil er findet, dass der seine Tochter nicht verdient hat. Und um einen jungen Mann, der unter widrigen Bedingungen seinen Weg als Künstler finden muss. Insofern hat diese Story viel mit unser aller Leben zu tun. Jeder weiß, was es bedeutet, gehasst zu werden. Jeder weiß, was es bedeutet, um Liebe zu kämpfen. Jeder weiß, was es bedeutet, sich selbst zu finden und sich gegen Leute zu behaupten, die versuchen, einen zu definieren. Seien es die eigenen Eltern, Lehrer oder ein Staatssystem. Dieses sich Befreien, sich Freischwimmen – das ist das eigentliche Thema des Films.
Im Film gibt es mindestens zwei Situationen, die den Bereich des Übernatürlichen berühren. Kurt spürt in Seebands Büro die Gegenwart seiner verstorbenen Tante. Außerdem empfängt er in seinem Atelier Hinweise auf den Täter. Glauben Sie an Zeichen und Wunder?
Wenn man offen dafür ist sie zu sehen, gibt einem das Leben die ganze Zeit Lösungen für unsere großen Fragen mit auf den Weg. Angefangen mit unseren Träumen, die wir alle schändlich vernachlässigen. Es gibt Methoden, um sich morgens an seine Träume zu erinnern. Im Traum gibt uns ein rational nicht ganz zu erfassender Teil unseres Wesens Antworten auf große Fragen, die wir mit unserem Verstand nicht durchdringen können. Mit der Kunst verhält es sich ähnlich. Gerhard Richter wurde einmal gefragt, was er beim Malen eines bestimmten Bildes gedacht habe. Er antwortete: „Ich habe nicht gedacht. Ich habe gemalt.“Für mich bedeutet das, dass man ein Problem durch Denken lösen kann, aber auch durch Malen oder eine andere Aktivität. Durch Liebe. Wir sind so darauf getrimmt, irgendwelche SchulKnobeleien zu lösen, ohne zu wissen, dass es noch ganz andere Ansätze gibt, um die großen Probleme der Welt zu lösen. Die Antworten sind überall um uns herum und in uns drin.
Was macht für Sie künstlerische Freiheit aus?
Ich finde es sehr gefährlich, die künstlerische Freiheit einzuschränken, durch Gesetze, durch Zensur. Ich bin ein großer Verfechter dieser Freiheit, auch wenn sie mitunter mit Verletzungen einhergeht. Ich glaube nicht daran, dass man an der Zensur vorbei Kunst erschaffen kann, indem man seine Botschaften verschlüsselt. Für mich zählt nur der ganz direkte, freie Ausdruck.
Als eine Inspirationsquelle diente auch die Biografie von Gerhard Richter. Warum trägt der Protagonist im Film einen anderen Namen?
Weil es nicht sein Leben ist. Er ist nur eine von vielen Inspirationsquellen. Ich will mir alle Freiheiten nehmen können und ein eigenes Kunstwerk schaffen. Es wäre mir zu wenig, einfach nur einen Lebenslauf abzufilmen. Ich wurde vom Leben des Gerhard Richter inspiriert und auch von Joseph Beuys und vielen, vielen anderen. Es handelt sich um Dichtung, das sieht man auch an den Namen. Als Zuschauer würde mich ein „Citizen Kane“deutlich weniger interessieren, würde er „Citizen Hearst“heißen, auch wenn Orson Welles offensichtlich den Medientycoon William Randolph Hearst im Sinn hatte. Ist ein Filmemacher ein wissenschaftlicher Biograf? Nein! Das würde mich nicht interessieren.