USA drohen Saudis mit Konsequenzen
Türkischer Präsident spricht von „brutalem Mord“und verlangt Gerichtsverfahren in Istanbul
WASHINGTON (dpa) - US-Vizepräsident Mike Pence hat versichert, dass die Tötung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi nicht folgenlos bleiben wird. Der „brutale Mord an einem Journalisten, an einem unschuldigen Mann, an einem Regimekritiker, wird nicht ohne Reaktion der USA bleiben“, sagte Pence. Die Außenminister sieben führender westlicher Länder (G7) erklärten in einem Schreiben, „die für die Tötung Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden“.
ISTANBUL - Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat dem saudischem Kronprinzen Mohammed bin Salman wegen der Ermordung des Dissidenten Jamal Khashoggi den Kampf angesagt. Drei Wochen nach Khashoggis Tod im saudischen Konsulat in Istanbul warf Erdogan der saudischen Führung am Dienstag einen „geplanten Mord“an dem regimekritischen Journalisten vor und verlangte die Bestrafung aller Beteiligten inklusive der Auftraggeber. Ausdrücklich sprach Erdogan dem saudischen König Salman sein Vertrauen aus – aber nicht dem Kronprinzen, dem eigentlichen starken Mann des Königreichs. Mit Erdogans Rede verschärft sich der regionale Machtkampf zwischen der Türkei und Saudi-Arabien.
In Englisch und Arabisch
Erdogan hatte sich bisher mit öffentlichen Schuldzuweisungen zurückgehalten. Stattdessen hatten seine Sicherheitsbehörden gezielt Informationen über das mutmaßliche Verbrechen vom 2. Oktober an die türkische und internationale Presse durchsickern lassen, um den Druck auf Riad zu erhöhen. Mit der Rede am Dienstag gab Erdogan seine bisherige Haltung auf. Die türkische Regierung ließ die Rede des Präsidenten vor der Parlamentsfraktion seiner Regierungspartei AKP in Ankara in englischer und arabischer Sprache übersetzen, um eine möglichst weite Verbreitung zu erreichen.
Erdogan wandte sich mit seinen Anschuldigungen direkt gegen die Darstellung Saudi-Arabiens, wonach Khashoggis Tod ein Unfall bei einem Verhör gewesen sei und dass Untergebene des Kronprinzen ohne Wissen der Führung gehandelt hätten. Erdogan beschrieb ein saudisches Killerkommando aus 15 Männern, die einen Tag vor der Tat in Istanbul angekommen seien. Einige von ihnen hätten im Konsulat die Tat vorbereitet, während andere in ein Waldgebiet bei Istanbul fuhren – möglicherweise um einen Ort zur Entsorgung der Leiche auszukundschaften.
Unter anderem bauten die Täter laut Erdogan die Festplatten der Überwachungskameras im Konsulat aus. Um die Tat zu verschleiern, täuschte ein saudischer Doppelgänger Khashoggis vor, dass der Dissident die Vertretung wieder verließ. Khashoggis Leiche ist bis heute nicht gefunden worden. Die Polizei sucht nach einem türkischen Komplizen der Täter, der bei der Beseitigung der Leiche geholfen haben soll.
Erdogan verlangte, die Beschuldigten sollten in der Türkei verhört und vor Gericht gestellt werden. „Unter wessen Befehl sind diese Leute hierher gekommen?“, fragte Erdogan. Damit spielte er darauf an, dass enge Mitarbeiter von Kronprinz Mohammed an der Tat beteiligt gewesen sein sollen. „Dass eine solche Angelegenheit auf ein paar Sicherheitsund Geheimdienstleute abgewälzt werden soll, überzeugt die Öffentlichkeit nicht“, betonte Erdogan, wobei er König Salman ausdrücklich von jedem Verdacht ausnahm: „Ich habe keinen Zweifel an der Aufrichtigkeit von König Salman.“
Obwohl er Thronfolger Mohammed mit keinem Wort erwähnte, zielte Erdogan vor allem auf den 33-jährigen Prinzen. Auch der Zeitpunkt seiner Rede deutete darauf hin: Am Dienstag begann in Riad eine Investorenkonferenz, bei der Saudi-Arabien internationale Anleger für ein ehrgeiziges wirtschaftliches Reformprojekt des Kronprinzen sucht. Erdogans Ruf nach Auslieferung der Verdächtigen und nach Ermittlungen in Saudi-Arabien, die „von oben bis unten“alle staatlichen Stellen unter die Lupe nehmen sollen, zeigen: Die Türkei will den Druck auf Riad aufrechterhalten.
Die Beschreibungen der barbarischen Tat haben dem Ruf von SaudiArabien bereits geschadet. Gleichzeitig ist Erdogans Kritik an der saudischen Regierung auch ein Zeichen der Unterstützung für die MuslimBruderschaft. Saudi-Arabien betrachtet die islamistische Bewegung als Terrorgruppe, doch die Türkei beschützt die Muslim-Brüder.
Mit seinen Angriffen auf Kronprinz Mohammed, der für eine scharfe anti-türkische Haltung bekannt ist, will Erdogan nach Auffassung einiger Beobachter eine Entlassung des Thronfolgers durch König Salman erreichen.