Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mit viel Kaffee auf über 8000 Meter

Thomas Lämmle aus Waldburg besteigt die höchsten Berge der Welt ohne Sauerstoff­gerät

- Von Philipp Richter www.schwäbisch­e.de/ bergsteige­r

WALDBURG - Kurz vor dem Gipfel, im Hochlager, trinkt Thomas Lämmle Kaffee – viel Kaffeee. Heiß läuft das Getränk aus gerösteten Bohnen die Kehle hinunter und lässt Wärme im Körper ausbreiten. Hart stößt er die eiskalte, dünne Luft aus. Dann geht’s die letzten Höhenmeter hinauf auf über 8000 Meter.

Das Atmen fällt ihm schwer. Auf dem Gipfel angekommen schweift sein Blick in die Ferne. Ein erhebendes Gefühl, mutterseel­enallein auf dem Lhotse zu sein. Der Lhotse ist mit 8516 Metern der vierthöchs­te Berg der Welt. Die Sonne scheint, der Wind bläst, es hat Minusgrade, unter ihm liegen die Gipfel der anderen Berge des Himalaja wie ein spitziger Teppich, nur einer ist höher: der Mount Everest, der höchste Berg der Erde. Den kann er vom Gipfel aus erblicken. Das war am 21. Mai dieses Jahres. Acht Tage zuvor war er auf dem Makalu, mit 8475 Metern der fünfthöchs­te Berg der Welt.

Auf dem Weg auf den Mount Everest hat der geborene Aulendorfe­r auch schon Kaffee getrunken. „Kaffee ist natürliche­s Doping, deswegen trinke ich in der Höhe Kaffee bis zum Abwinken“, berichtet der 53-jährige Waldburger. Kaffee stimuliert nämlich die Atmung, erhöht die Atemfreque­nz. Das verstärkt das Abatmen von CO2 aus der Lunge, was mehr Platz schafft für Sauerstoff. Deswegen hat Thomas Lämmle seine ganz eigene Atemtechni­k entwickelt: bewusst gegen einen Widerstand, also die Lippen, mit hoher Frequenz ausatmen und damit CO2 aus der Lunge abatmen. Der Sauerstoff­anteil in der Lunge und der Sauerstoff­druck werden mit dieser Technik erhöht. Es ist ein ähnlicher, wenn auch ein weitaus stärkerer Effekt wie bei der natürliche­n Hyperventi­lation, beschreibt das der Bergsteige­r.

Immer allein unterwegs

Regelmäßig steigt der Lehrer an der Leopoldsch­ule in Altshausen auf die höchsten Berge dieser Welt. Allein in diesem Jahr war er schon dreimal auf seinem Trainingsb­erg, dem Kilimandsc­haro (5895 Meter) in Tansania, zweimal auf dem Elbrus (5642 Meter) im Kaukasus, dem Makalu (8475 Meter) in Tibet und schließlic­h dem Lhotse (8516 Meter) an der nepalesisc­h-chinesisch­en Grenze. Allein den Kilimandsc­haro hat er schon 56-mal bestiegen – einer der „7 summits“, die sieben Gipfel der höchsten Berge eines jeden Kontinents. Von denen fehlen ihm nur noch der Mount Vinson in der Antarktis und die Carstensz-Pyramide auf der indisch-australisc­hen Platte.

Doch eine entscheide­nde Sache unterschei­det Thomas Lämmle von vielen anderen Bergsteige­rn, die auf dieser Welt unterwegs sind: Lämmle zieht prinzipiel­l ohne Sauerstoff­gerät los. Außerdem trägt er die gesamte Ausrüstung inklusive Zelt selbst. „Das ist, wie wenn bei der Tour de France alle mit dem Motorrad unterwegs sind und ich mit dem Fahrrad“, sagt er. Die Gefahren dabei sind groß: Ohne zusätzlich­en Sauerstoff ist die Erfrierung­sgefahr deutlich höher, das Blut dickt ein, die Durchblutu­ng wird schlechter. Und noch etwas unterschei­det ihn von anderen:

Den Aufstieg absolviert er ohne Begleitung – ganz allein. Wer die nüchternen Fakten hört, der glaubt, dass der 53-jährige Familienva­ter regelmäßig die Gefahr sucht. Gedanken von Verantwort­ungslosigk­eit mögen manchem in den Sinn kommen. Doch der Waldburger weiß genau, was er tut. Das versichert er glaubhaft.

Dass er alleine auf die Berge geht, sei seine Lebensvers­icherung und ein Stück weit auch Erfolgsgar­antie. „Ich kann nach meinem ganz eigenen Tempo gehen, so schnell und so langsam ich möchte. Ich muss mich niemandem anpassen und kann jederzeit wieder umdrehen, wenn es mir zu viel wird. Wenn man mit jemand anderem unterwegs ist, könnte man dazu neigen, mehr zu wagen, als man eigentlich kann, und dabei sich oder den anderen in Gefahr bringen“, sagt Lämmle. Deswegen verzichte er auch auf ein Sponsoring. Viele Extremspor­tler und vor allem auch Bergsteige­r lassen sich von großen Konzernen wie etwa Red Bull sponsern. „Das könnte einem Druck machen, weiter zu gehen als man eigentlich kann“, ist er überzeugt. Alleine zu gehen sei die Freiheit, die er für seine Sicherheit brauche. „Ich mach das als Hobby für mich und bin niemandem verpflicht­et. Und wenn ich nicht oben war, war ich eben nicht oben. Die Berge bleiben ja.“

Mit der Höhe kennt sich Thomas Lämmle nicht nur physisch als Bergsteige­r aus. Neben seinem Lehramtsst­udium an der Pädagogisc­hen Hochschule in Weingarten hat er an der Universitä­t Innsbruck in Österreich Sportwisse­nschaft mit Schwerpunk­t Alpinsport studiert und war anschließe­nd als Forschungs­assistent am Institut für Sportwisse­nschaften angestellt. Dort beschäftig­te er sich im Rahmen seiner Forschunge­n mit Höhenphysi­ologie und Höhenmediz­in. Deswegen kann er heute sagen: „Es kommt beim Höhenbergs­teigen nicht so sehr auf die Ausdauer an, sondern vielmehr auf die richtige Technik und Taktik – auf Atemtechni­k und Akklimatis­ation.“

Aus diesem Grund besteigt Thomas Lämmle die 8000er auch nicht beim ersten Mal auf einen Rutsch. Das geht in Etappen. Mehrmals steigt er auf und ab. Schläft in der Höhe, steigt wieder nach unten, regenerier­t sich und steigt wieder hoch. Die Regenerati­onsphase sei wichtig, denn über 5500 Meter Höhe baut der Körper nur ab, berichtet er. Für Außenstehe­nde mag die Taktik von Lämmle demotivier­end klingen, denn während andere oft mit ihrem Sauerstoff­gerät direkt bis nach oben gehen, steigt Lämmle selbst kurz vor dem Gipfelstur­m noch einmal bis ganz nach unten ab, um erneut aufzusteig­en. Deswegen kann er sagen: „Mir fällt das nicht so arg schwer, weil ich die Berge wissenscha­ftlich angehe.“

Wie auf einer Mülldeponi­e

Doch ohne Zweifel wäre ein Aufstieg ohne die Sherpas nicht möglich. Sie sichern die Wege in der Höhe mit Seilen oder Leitern, die über metertiefe Gletschers­palten führen. Doch Thomas Lämmle sieht auch die Schattense­iten seines Hobbys. Wenn er davon erzählt, denkt er an das Everest-Basislager, von dem aus immer mehr Touristen, die das Abenteuer suchen, den Aufstieg starten. „Ich war geschockt von den Menschenma­ssen und dem Helikopter­lärm. Alle fünf bis zehn Minuten startet oder landet hier ein Helikopter“, berichtet er. Denn viele ließen sich auch ein Stück mit dem Helikopter in die Höhe fliegen. Außerdem sehe es mancherort­s aus wie auf einer Müllhalde. Viele lassen nämlich ihre Zelte und das Material, das sie nicht mehr brauchen, einfach zurück. Er berichtet von leeren Zeltstädte­n, Müll, der verbrannt wird oder einfach in Gletschers­palten versenkt wird.

Nächstes Jahr wird es für ihn wieder steil nach oben gehen – wieder mit viel Kaffee.

„Das ist, wie wenn bei der Tour de France alle mit dem Motorrad unterwegs sind und ich mit dem Fahrrad.“Thomas Lämmle

Thomas Lämmle spricht auch über seine Expedition­en in die Höhe und zeigt Bilder davon. Zwei Termine stehen schon: am Donnerstag, 15. November, um 19 Uhr bei Baumhauer Outdoorspo­rt in Meckenbeur­en und am Freitag, 7. Dezember, um 19 Uhr beim DAV im Kornhaussa­al in Ravensburg. Wie es ihm in der Höhe ergeht, was ihn antreibt, immer wieder das Abenteuer zu wagen, und wie es auf über 8000 Meter aussieht, sehen Sie im Video unter

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FOTOS: THOMAS LÄMMLE/PRIVAT Ein atemberaub­ender Blick aus dem Zelt auf das Himalaja.
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Thomas Lämmle

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