Schwäbische Zeitung (Wangen)

Eigentlich?!

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Jetzt beginnt sie wieder die Zeit des „eigentlich“. Was das heißen soll? Zu kaum einer Zeit im Jahr hört man dieses Wort so oft: eigentlich.

Eigentlich ist der Advent eine Zeit der Ruhe und Besinnung, aber gerade da ist so viel los, dass ich nicht zur Ruhe komme.

Eigentlich ist der Advent eine Fastenzeit, aber die Plätzchen schmecken vor Weihnachte­n am besten.

Eigentlich gehört der Weihnachts­baum zu Weihnachte­n, aber die Stimmung ist so schön.

Eigentlich wollte ich diese Zeit bewusst beginnen, aber Weihnachte­n ist immer so schnell da.

Eigentlich… ist dieses Wort ein guter Anlass, darüber nachzudenk­en, was dem Advent eigen ist, was es nur in der Adventszei­t zu erleben gibt.

Das Besondere des Advents sind sicher die vielen sinnlichen Erlebnisse: Man denke nur an den warmen Glühwein auf dem Weihnachts­markt, an den Duft von Tannenreis­ig, den Geschmack von hausgemach­ten Plätzchen (am besten selbstgema­cht) und an die vielen Kerzen und Lichter, die die dunkle Jahreszeit hell machen. All das und noch viel mehr macht die besondere Stimmung des Advents aus.

Und doch ist der Advent mehr als eine Stimmung. Er ist eine Vorbereitu­ngszeit – und das nicht nur im praktische­n Sinne von Geschenke besorgen, backen und dekorieren, sondern vor allem auch eine innere Vorbereitu­ngszeit auf das Weihnachts­fest hin.

Und dazu passt diese sinnliche Einstimmun­g gut. Denn wir feiern an Weihnachte­n, dass Gott tatsächlic­h und sinnlich für Menschen erfahrbar wurde: Ein Mensch zum Anfassen und Liebhaben, zum Reden und Diskutiere­n, mehr noch ein kleines wehrloses Kind, das sich in seiner Bedürftigk­eit uns Menschen aussetzt, auf Menschen angewiesen ist. Das stellt vieles auf den Kopf, was wir uns von Gott vielleicht vorstellen: Allmacht, Herrschert­um, Unantastba­rkeit wird gewendet hin zu einem ganz neuen Blick auf Gott: Einer, der sich uns aussetzt, dem wir nicht ausgeliefe­rt sind. Einer, der uns nicht nur Liebe schenkt, sondern sie auch von uns wünscht, einer der sich nicht nur um uns sorgt, sondern unsere Fürsorge sucht.

Gut, dass das Kirchenjah­r mit dem Advent mindestens drei Wochen dafür reserviert, dass wir diese Seite von Gott immer wieder auf uns wirken lassen können und uns zu eigen machen. Denn so singen wir dann im Weihnachts­lied „Ich steh an Deiner Krippen hier“, dass sich Gott uns „zu eigen macht“. Ein Kind, ein Säugling, berührt Menschen oft zuinnerst, rührt an, macht weich. So will Gott uns begegnen, in unserer Innerlichk­eit, Verletzlic­hkeit und auch Bedürftigk­eit. In unserer Sehnsucht nach Geborgenhe­it, Schutz und Heimat. Er macht sich uns zu eigen gar, damit er dann mit uns und in uns und durch uns groß werden kann. Damit die Zartheit, die Fürsorge und die Sehnsucht, die dieses Kind in uns anrührt, wächst und einen Raum, ein Gewicht in dieser Welt bekommen. Solche Gedanken sind für einen Tag zu groß. Dafür braucht es Zeit und Muße, damit sie auf uns wirken können. Deshalb gibt es den Advent. Eigentlich ganz gut, oder?

Susanne Rimmele, Pastoralre­ferentin Argenbühl

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FOTO: PRIVAT Susanne Rimmele

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