„Es wird ungemütlich“
Ifo-Chef Clemens Fuest über die ersten Anzeichen für eine konjunkturelle Abkühlung
ULM - Ist der Exporterfolg der deutschen Wirtschaft in Gefahr? Nicht, wenn die Verantwortlichen die richtigen Schlüsse aus der derzeitigen Lage ziehen, sagt jedenfalls Ifo-Chef Clemens Fuest. Bei einer Veranstaltung der BW Bank mit 300 Kunden von der Ostalb bis zum Bodensee in Ulm hat Andreas Knoch den Ökonomen getroffen und sich mit ihm über die deutschen Handelsüberschüsse, Wohlstandsphänomene und Steuerquoten unterhalten.
Herr Fuest, die deutsche Wirtschaft erwartet schwierigere Zeiten. Der von Ihrem Institut berechnete Ifo-Index ist seit einem Jahr rückläufig. Sind die guten Jahre vorbei?
Es ist noch zu früh, das bestimmt zu sagen. Ja, wir sehen eine Abkühlung. Und ja, die Anzeichen verdichten sich, dass wir an einem konjunkturellen Wendepunkt angekommen sind. Es wird ungemütlich. Das heißt aber nicht, dass jetzt der große Abschwung kommt.
Eine Rezession erwarten Sie nicht?
Nein. Es gibt aktuell keine Indikatoren, die eine Rezession anzeigen. Beunruhigend ist jedoch, dass die Unsicherheit bei den Unternehmen deutlich zunimmt. Wir haben einen solchen Anstieg in den vergangenen Jahren nur einmal gesehen: 2008, im Jahr der Finanzkrise. Aber noch einmal: Es gibt keine Hinweise darauf, dass wir auf einen ähnlichen Abschwung wie damals zusteuern.
Welches Zeugnis stellen Sie der deutschen Wirtschaft aktuell aus?
Die Binnenwirtschaft ist in einem guten Zustand – getragen von hoher Beschäftigung und steigenden Löhnen und einem Boom in der Bauindustrie. Auch der Dienstleistungssektor ist eine Stütze. Weniger gut läuft es in der Industrie und im Export allgemein.
Sollte Deutschland angesichts des zunehmenden Protektionismus sein Geschäftsmodell ändern und stärker auf die Binnennachfrage setzen?
Die Binnennachfrage ist zurzeit die große Stütze der deutschen Konjunktur. Aber der Export ist eine große Stärke der deutschen Wirtschaft – und das wird so bleiben. Die Wachstumschancen der Zukunft liegen nicht im Inland, sondern im Ausland – in Asien etwa.
Aber die Exporterfolge bringen uns gerade viel Ärger ein. Stichwort Handelsüberschüsse.
Deutschland hat aktuell einen Außenhandelsüberschuss von acht Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist zu hoch. Aber nicht, weil wir dadurch unsere Handelspartner schädigen, ihnen angeblich Nachfrage wegnehmen. Der Überschuss ist zu hoch, weil er zu einem politischen Problem wird.
Wie meinen Sie das?
Erstens, weil wir uns in der EU auf einen Außenhandelsüberschuss von sechs Prozent geeinigt haben. Deutschland liegt mit acht Prozent deutlich darüber. Und zweitens, weil Gläubiger nicht gemocht werden. Der Außenhandelsüberschuss Deutschlands bedeutet, dass wir gegenüber dem Ausland Forderungen aufbauen. In den Schuldnerstaaten wird dann irgendwann nach Gründen gesucht, diese nicht zurückzuzahlen. Diese Debatte gewinnt an Fahrt. Wir sollten also schauen, diese Überschüsse zu reduzieren.
Wie kann das gelingen?
Indem wir die Investitionsmöglichkeiten, die es im Inland gibt, auch tatsächlich nutzen. Etwa bei der Infrastruktur, wo die Bereitschaft für Investitionen immer weiter zurückgeht. Wir beklagen uns zwar über Funklöcher. Aber wenn es konkret wird, wenn es darum geht, einen neuen Handymast, eine neue Bahnstrecke oder eine neue Stromtrasse zu bauen, scheitert es oft an Widerständen der lokalen Bevölkerung. Das ist ein Wohlstandsphänomen aber wir brauchen eine moderne und intakte Infrastruktur, wenn wir unsere Wettbewerbsposition halten wollen. Dafür müssen Politik und Bevölkerung bereit sein, Infrastruk- turinvestitionen und neue Technologien zu akzeptieren. Ohne diese breite Akzeptanz geht es nicht.
Was kann Deutschland noch tun?
Wir könnten auch im Unternehmenssektor bessere Bedingungen für inländische Investitionen schaffen. Dazu sollten wir die Steuerbelastung der Unternehmen auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau senken.
Ein heikles Thema…
Deutschland hat in der vergangenen Dekade nichts an der Steuerpolitik geändert, während die Welt um uns herum die Steuern gesenkt hat. Unter den G7-Staaten hatten wir vor zehn Jahren die zweitniedrigste Steuerquote. Heute haben wir die zweithöchste. Das ist nicht nur ein schlechtes Signal an mögliche Investoren. Es beeinflusst auch die Entscheidung, wo besonders profitable Projekte angesiedelt werden. Beim Status quo ist es aus unternehmerischer Perspektive sinnvoll, alle Kosten nach Deutschland zu schieben und die Erträge im Ausland zu vereinnahmen. Wollen wir das Steueraufkommen halten und Investitionen steigern, müssen wir die Unternehmenssteuersätze senken.
Auf welches Niveau sollten die Steuern gesenkt werden?
Deutschland sollte sich nicht an die Spitze des Steuerwettbewerbs setzen. Aber ein Steuersatz von 25 Prozent, wie ihn Frankreich einführt, wäre angemessen.
Ist das durchsetzbar?
Was gesamtwirtschaftlich sinnvoll ist, sollte auch gesellschaftlich durchsetzbar sein. Man muss es nur erklären. Denn es geht darum, Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern. Außerdem haben wir in einer Studie gezeigt: Wenn sie in Deutschland einen Euro mehr an Unternehmenssteuern einsammeln, sinkt die Lohnsumme um 65 Cent. Steuerlasten werden häufig weitergegeben. Wenn man die Steuern senkt, hat das – mit einem gewissen Zeitverzug – auch positive Auswirkungen auf das Lohnniveau.