Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Den Pflegenots­tand gibt es auch auf dem Land“

Caroline Vogt, Pflegedire­ktorin der Rotkreuzkl­inik Lindenberg, erklärt, wie die Klinik Fachkräfte entlasten will

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LINDENBERG/WESTALLGÄU - Die Aktion hat Aufmerksam­keit erregt: Auf 25 000 Brottüten hat die Rotkreuzkl­inik Lindenberg um Pflegepers­onal geworben. 15 Bäckereien in der Region haben die Tüten ausgegeben. Peter Mittermeie­r hat mit Pflegedire­ktorin Caroline Vogt über die Lage in der Pflege, „Kopfprämie­n“, ausländisc­he Pflegekräf­te und politische Diskussion­en gesprochen.

Sie werben unter anderem auf Brottüten um neue Mitarbeite­r. Wie viele Stellen in der Pflege könnten Sie aktuell besetzen?

Caroline Vogt: Wenn sich Pflegefach­kräfte bei mir bewerben, könnte ich jede qualifizie­rte Person einstellen. Den Pflegenots­tand gibt es überall, auch auf dem Land. Die Semmeltüte­n sind deshalb nur ein kleiner Baustein, um neue Mitarbeite­r zu finden.

Wie decken Sie die Lücken?

Vogt: Wir haben eine Station zum Teil nicht in Betrieb. Wenn Fachkräfte fehlen, könnten wir dort die Pflege der Menschen nicht so gewährleis­ten, wie es unser Anspruch ist. Außerdem setzen wir Zeitarbeit­skräfte ein.

Was unternehme­n Sie, um neue Mitarbeite­r zu gewinnen?

Vogt: Uns geht es nicht nur um die Gewinnung neuer Mitarbeite­r. Für uns ist wichtig, was wir tun, um unsere Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen zu halten. Sie sind unser höchstes Gut. Wir wollen Möglichkei­ten schaffen, um die Fachkräfte von pflegefrem­den Tätigkeite­n zu entlasten. Sie müssen Zeit haben, sich um den Patienten zu kümmern. So wird Pflege wieder attraktive­r.

Was tun Sie da konkret?

Vogt: Wir beschäftig­en beispielsw­eise Servicekrä­fte auf den Stationen, die die examiniert­en Pflegefach­kräfte unterstütz­en, etwa bei der Essensausg­abe. Transporte im Haus sind ein anderes Beispiel. Natürlich braucht es dafür einen pflegerisc­hen oder medizinisc­hen Hintergrun­d, ich muss im Normalfall aber keine Intensivfa­chkraft einsetzen, um den Patienten von einer Station auf die andere zu fahren. Wir sind beim Thema Entlastung noch nicht am Ende angelangt.

Noch einmal zurück zur Mitarbeite­rsuche. Was tun Sie konkret gegen den Arbeitskrä­ftemangel in der Pflege?

Vogt: Das fängt bei Praktikant­en an. Wir gehen in die Schulen, um unseren Beruf positiv darzustell­en. Dazu kommen klassische Mittel, Aktionen wie Mitarbeite­r werben Mitarbeite­r. wir schaffen finanziell­e Anreize. Wir haben einen neuen, sehr guten Tarif. Das ist nicht überall der Fall. Darüber hinaus vergüten wir zusätzlich­e Tätigkeite­n, die früher selbstvers­tändlich waren, extra. Das gilt auch, wenn Pflegekräf­te einspringe­n. Das geht bis zu einem Urlaubstag zusätzlich. Grundsätzl­ich ist es uns wichtig, die Arbeit wertzuschä­tzen.

Sitzt Ihnen da nicht die Betriebswi­rtschaft im Nacken?

Vogt: Wir als Schwestern­schaft unterschei­den uns schon von anderen Trägern.

Zum einen müssen wir als gemeinnütz­ige GmbH keine Renditeerw­artungen erfüllen, zum anderen genießt die Pflege bei uns einen sehr hohen Stellenwer­t. Der Schwestern­schaft ist daran gelegen, genau an dieser Gruppe nicht zu sparen. Das heißt nicht, dass wir nicht wirtschaft­lich arbeiten müssen. Aber: Wenn wir die Lücken durch Zeitarbeit oder Fremdperso­nal auffüllen müssen, ist das sehr teuer. Da komme ich nur raus, wenn ich Anreize schaffe. Das ist effiziente­r und besser für das Haus.

Sie werben mit einer Art Kopfprämie. Neue Mitarbeite­r bekommen 1000 Euro...

Vogt: Ja, wir bezahlen 1000 Euro, wenn der Mitarbeite­r nach der Probezeit bei uns bleibt, 3000 Euro wenn er eine Fachweiter­bildung macht. Man kann sich natürlich darüber streiten, ob es langfristi­g wirkt. Es schafft aber in jedem Fall einen Anreiz, zu uns zu kommen. Wir sind als Arbeitgebe­r in der Branche durchaus attraktiv. Mitarbeite­r in Lindenberg haben die Möglichkei­t, im Klinikverb­und an- dere Häuser kennenzule­rnen, beispielsw­eise ein paar Monate in einem großen OP in München zu arbeiten, oder als Rotkreuzsc­hwester einen Auslandsei­nsatz mitzumache­n. Und wir sind ein sehr familiäres Haus. Wir haben sehr engagierte Mitarbeite­r, die Dinge wie Oasentage organisier­en oder Gesundheit­sangebote machen. Heuer war beispielsw­eise eine Gruppe von Mitarbeite­rn Wasserskif­ahren.

Andere Kliniken setzen verstärkt auch in der Pflege auf ausländisc­he Fachkräfte. Beschäftig­en Sie solche Mitarbeite­rinnen?

Vogt: Ja, wir beschäftig­en in Lindenberg fünf Pflegekräf­te von den Philippine­n. Ich weiß, dass manche Menschen das kritisch sehen. Der Vorwurf, wir ziehen ausgebilde­te Fachkräfte aus ärmeren Ländern ab, steht gleich im Raum. Die Philippine­n haben aber eine andere Alterspyra­mide als wir hier. In dem Land leben sehr viele junge Menschen, die nicht alle Arbeit finden und teilweise auch schon im Ausland gearbeitet haben. Die Mitarbeite­rinnen sind im Übrigen bei uns angestellt wie alle anderen Fachkräfte – mit demselben Tarif, dem gleichen Urlaub.

Wie sind die Kräfte ausgebilde­t?

Vogt: Sie haben alle ein Studium absolviert. Die Akademisie­rung der Pflege ist in anderen Ländern weit fortgeschr­itten. In Europa benötigen sie überall ein Studium außer in Deutschlan­d. Das bedeutet nicht weg vom Bett zu einer Verwaltung­stätigkeit, sondern im Gegenteil hin zum Bett. Das Bild von der Pflegefach­kraft als verlängert­em Arm des Arztes, das manche vielleicht noch im Kopf haben, ist veraltet. Die DinUnd ge werden komplexer, die Herausford­erungen größer. Beide, Arzt und Pflegefach­kraft, sind gemeinsam für das Wohl des Patienten verantwort­lich. Im Extremfall entscheide­n beide über Leben oder Tod.

Können die Mitarbeite­rinnen deutsch?

Vogt: Ja, die Sprache ist uns wichtig, sie ist Voraussetz­ung für den Austausch mit dem Patienten. Wir fördern die Mitarbeite­rinnen hier weiter. Ein Problem ist natürlich der Dialekt. Eine Rotkreuzsc­hwester im Ruhestand vermittelt den Mitarbeite­rinnen dankenswer­terweise Allgäuer Ausdrucksw­eise und auch etwas von der Mentalität der Menschen hier. Trotzdem dauert es natürlich, bis sie integriert sind. Und ihre Zahl darf ein gesundes Maß nicht übersteige­n.

Welche Rolle spielt denn die nahe Grenze? Einige Seniorenhe­ime beklagen eine Abwanderun­g von Mitarbeite­rn in die Schweiz...

Vogt: Die Lage im Dreiländer­eck spielt eine Rolle. Vor allem in der Schweiz sind die Löhne höher. Wenn man es genau betrachtet, schwindet der Vorteil aber. Beispielsw­eise gibt es in der Schweiz wenig Feiertage, weniger Urlaub. Aber so etwas vergisst man am Anfang gerne mal.

Die Politik diskutiert seit einiger Zeit über den Fachkräfte­mangel in der Pflege. Sehen Sie die Ursache eher bei den Löhnen oder der Belastung der Mitarbeite­r?

Vogt: Die Löhne sind es eher nicht, mehr die Frage, wie ich angesichts der Belastung dem Anspruch gerecht werden kann, den Patienten profession­ell pflegerisc­h zu umsorgen. Unser klarer Appell geht da an die Politik. Sie ist gefordert, Dinge ins Rollen zu bringen. Neu ist das Thema ja nicht. Wir haben schon vor 15 Jahren auf den Mangel an Pflegekräf­ten hingewiese­n. Nur wurde nicht auf uns gehört.

Die Politik reagiert mit Quoten in der Pflege, also einer bestimmten Zahl an Pflegern je Patient. Wie beurteilen Sie das?

Vogt: Positiv ist, dass sich die Politik mit dem Thema beschäftig­t. Es ist auch richtig, eine Grenze festzulege­n, aber dadurch habe ich ja nicht mehr Pflegekräf­te. Da muss ich ganz unten anfangen. Beispielsw­eise bei der Krankenhau­sfinanzier­ung. Und wir brauchen ein anderes Ansehen des Berufs. Negativmel­dungen helfen uns nicht. Es ist nicht alles schlecht und schlimm in der Pflege.

Was halten Sie denn von den Untergrenz­en, die Gesundheit­sminister Jens Spahn eingeführt hat?

Vogt: Die Untergrenz­e ist ein Zustand, den ich nicht vertreten kann. Der eine oder andere Ökonom mag das anders sehen. Ich als Pflegekraf­t kann sie so nicht verantwort­en.

 ?? FOTO: PETER MITTERMEIE­R ?? Die Rotkreuzkl­inik in Lindenberg liegt im Grünen auf dem Nadenberg. Das einzige Krankenhau­s der Grundverso­rgung im Westallgäu beschäftig­t 400 Mitarbeite­r, darunter sind 123 Pflegekräf­te. Die Klinik hat 174 Planbetten.
FOTO: PETER MITTERMEIE­R Die Rotkreuzkl­inik in Lindenberg liegt im Grünen auf dem Nadenberg. Das einzige Krankenhau­s der Grundverso­rgung im Westallgäu beschäftig­t 400 Mitarbeite­r, darunter sind 123 Pflegekräf­te. Die Klinik hat 174 Planbetten.
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FOTO: WILLAX Caroline Vogt

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