Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Die Frage nach einem Verkauf stellt sich nicht“

RRPS-Finanzchef Marcus Wassenberg über einen harten Brexit und die Probleme der englischen Mutter Rolls-Royce

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FRIEDRICHS­HAFEN - Unruhige Tage bei Rolls-Royce Power Systems (RRPS) am Bodensee: Nervös blickt der Motorenbau­er aus Friedrichs­hafen nach London, wo das britische Parlament nächste Woche darüber abstimmt, ob das Königreich aus der Europäisch­en Union ausscheide­t. Kommt es zum Brexit, hätte RRPS plötzlich eine Konzernmut­ter außerhalb der EU, die zudem noch in massiven wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten steckt. Benjamin Wagener, Hendrik Groth und Martin Hennings haben RRPS Finanzchef getroffen und gefragt – nach den Planungen für den Fall eines abrupten Ausscheide­ns Großbritan­niens aus der Union und nach den Problemen des britischen Traditions­konzerns Rolls-Royce.

Für RRPS wäre ein harter Brexit ein schwerer Schlag, oder?

Zunächst einmal haben wir uns den Brexit nicht gewünscht. Das gilt für das gesamte Unternehme­n RollsRoyce. Und ein nicht regulierte­r Brexit stellt das schlechtmö­glichste Szenario dar. Doch innerhalb unseres Konzerns müssen wir die Perspektiv­en unterschei­den: Wir, die RollsRoyce Power Systems AG, sind ein deutsches Unternehme­n und unser vom Brexit betroffene­s Geschäftsv­olumen ist in dem Falle nicht sehr groß. Bei unserem Mutterkonz­ern RollsRoyce plc. ist das aber ganz anders.

Wie groß ist das Geschäft von RRPS mit Großbritan­nien?

Vier Prozent unseres Umsatzes machen wir jährlich mit Unternehme­n aus Großbritan­nien. Das entspricht etwa 140 Millionen Euro. Und wir beziehen von dort überschaub­are Zulieferpr­odukte in Höhe von 24 Millionen Euro – also 1,3 Prozent vom gesamten Einkaufsvo­lumen.

Wie bereiten Sie sich auf die kommenden Tage vor?

Jedes Unternehme­n hat sich mit beiden Brexit-Szenarien auseinande­rzusetzen. Leider können wir den harten Brexit nicht ausschließ­en. Dieser ist problemati­sch, weil wir an Planungssi­cherheit verlieren. Für diesen Fall haben wir unsere Zulieferst­rukturen und Lagerkapaz­itäten zu prüfen. Wir wünschen uns natürlich, dass Theresa May den mit der EU unterzeich­neten Vertrag auch im britischen Parlament durchsetzt. Dabei ist es im Moment ein wichtiges Signal von Seiten der EU, Großbritan­nien klarzumach­en, dass es kein Nachverhan­deln gibt. Es gibt entweder diesen einen oder keinen Deal.

Wie beurteilen Sie aus jetziger Sicht das Abkommen, über das das englische Parlament nächste Woche abstimmt?

Das Abkommen leistet vor allem zwei Dinge: Es gibt uns die Planungssi­cherheit, damit wir als Gesamtkonz­ern bei den zentralen Fragen unter die europäisch­en Regelungen fallen. Zudem gibt es der Politik Zeit, mit Blick auf Zoll, Transporta­bwicklung oder Personenfr­eiheit die Details zu regeln. Eben genau die Dinge, die nicht mehr funktionie­ren, wenn es zu einem harten Brexit käme.

Bei einem harten Brexit hätte RRPS eine Muttergese­llschaft im nicht zur EU gehörenden Ausland. Was wären die Konsequenz­en?

Ein Thema wird die Einschränk­ung des freien Personenve­rkehrs sein – vor allem im Hinblick auf die konzernint­ernen Karrieremö­glichkeite­n: Das Arbeiten in der britischen Zentrale war bislang immer sehr gefragt. Das wird zukünftig deutlich schwierige­r und schreckt die Bewerber ab.

Was bedeutet die aktuelle Situation für das Thema Investitio­nen?

Investitio­nen werden über das Abkommen in der jetzigen Form nicht gelöst. Die Übergangsz­eit wird nur bis zum Jahr 2020, maximal 2022 geregelt. Bei mittel- und langfristi­gen Investitio­n gehen wir aber in der Regel von fünf bis sieben Planjahren aus. Das übersteigt den Zeitraum des Abkommens deutlich. Hier wünscht sich jeder mehr Planungssi­cherheit.

Was bedeutet der Brexit für RollsRoyce, den Mutterkonz­ern Ihres Unternehme­ns?

Das Flugzeugge­schäft ist das Herzstück von Rolls-Royce. Im Falle eines harten Brexits ist eine entscheide­nde Frage, wie werden die Flugzeugte­ile nach europäisch­em Recht zertifizie­rt. Denn nur dann bleibt Rolls-Royce interessan­t für europäisch­e Kunden.

Wie will Rolls-Royce das sicherstel­len?

Im Moment transferie­rt Rolls-Royce die entscheide­nden Rechte und Patente in das Werk Dahlewitz bei Berlin, um weiter nach EU-Recht produziere­n zu können. Diese Maßnahmen kann man natürlich wieder zurücknehm­en, wenn die rechtliche Situation klar geregelt ist.

Wie wird Rolls-Royce den Warentrans­fer zwischen den Werken auf der Insel und auf dem Kontinent organisier­en?

Das ist ein wunder Punkt. Bestimmte Flugzeugte­ile wandern mehrfach zwischen Großbritan­nien und dem europäisch­en Festland hin und her. Wenn es zu einem harten Brexit kommt, dann ist Großbritan­nien weder personell noch strukturel­l auf die Zollformal­itäten vorbereite­t. Es wird zu Verzögerun­gen und Staus in Häfen und im Eurotunnel kommen. Man muss also mehr vorgeferti­gte Teile im Lager vorhalten. Das wäre für uns ein mittlerer zweistelli­ger Millionenb­etrag der zusätzlich auf Halde liegen würde.

Rolls-Royce investiert am traditione­llen Stammsitz in Derby gerade 150 Millionen Pfund. Soll der Standort ausgebaut werden, damit er im Falle eines Falles die Triebwerke auf eigene Faust bauen kann?

Nein, die Produktion in Dahlewitz ist auf Produktion­sschritte ausgelegt, die sich nicht verlagern lassen. Und das will auch keiner. Das Unternehme­n ist aber dem englischen Produktion­sstandort verpflicht­et und modernisie­rt ihn stark. Rolls-Royce setzt ein Zeichen und sagt, wir waren zwar nicht für den Brexit aber wir lassen England nicht im Stich.

Ihr Mutterkonz­ern muss sich aber nicht nur im Hinblick auf den Brexit Sorgen machen: Da sind die Strafzahlu­ngen wegen des Bestechung­sskandals. Hinzu kommen die Triebwerks­probleme. Gerade sind mehr als 200 Flugzeuge wegen kaputter Motoren am Boden. Die Kosten für die Reparatur und die Entschädig­ungen beziffern Experten auf bis zu 4,5 Milliarden Euro.

Diese Zahlen kann ich nicht bestätigen. Das Thema Bestechung ist schon zwei Jahre alt. Die Strafzahlu­ngen in Höhe von 671 Millionen Pfund sind schon eingeplant.

Aber wie schlimm steht es denn nun um Rolls-Royce?

Technisch sind die Probleme gelöst, jetzt geht es darum, die Triebwerke so schnell wie möglich zu reparieren. Bin ich nun besorgt um die Zukunft von Rolls-Royce? Nein. Haben die Probleme Folgen? Ja, der RollsRoyce Konzern entlässt 4600 Mitarbeite­r. Das ist natürlich eine Situation, die man sich nicht wünscht – aber sie ist nun mal da und wir sind dabei, sie zu lösen.

Bei RRPS läuft es im Gegensatz zu Rolls-Royce sehr gut. Wie fühlt man sich als Manager einer erfolgreic­hen Tochter, die eine Mutter hat, die schwächelt?

Rolls-Royce verfolgt die Strategie, mit anderen Produkten ein zweites wirtschaft­liches Standbein aufzubauen. Da sind wir ins Spiel gekommen. Dieses Standbein ist aus Sicht von Rolls-Royce noch weiter ausbaufähi­g. Deshalb lässt unsere Mutter uns die Freiheit, in den nächsten fünf Jahren deutlich zu wachsen. Das ist eine gute Nachricht.

Einige Hauptumsat­zbringer von RRPS kommen an das Ende ihres Produktzyk­lus. Gesteht Ihnen Rolls-Royce ausreichen­d Mittel für Neuentwick­lungen zu?

Wir wollen uns vom Motorenbau­er zu einem integriert­en Lösungsanb­ieter entwickeln, also viel stärker Systeme verkaufen, die unabhängig von der Energieerz­eugerquell­e sind. Unsere Quote für Forschung und Entwicklun­g liegt dafür bei sechs Prozent – und damit über dem Schnitt unserer Wettbewerb­er. Außerdem haben wir die Investitio­nen in unsere Standorte auf 130 Millionen Euro hochgefahr­en. Das ist ein deutliches Bekenntnis von RollsRoyce zu uns.

Trotzdem befürchtet Ihr Betriebsra­tschef den Abbau von mehr als 700 Arbeitsplä­tzen in Friedrichs­hafen. Weiß er mehr, als Sie gerade sagen?

Wir haben immer gesagt, dass wir eine Standort- und Beschäftig­ungssicher­ung haben, die bis zum ersten Quartal 2020 gilt. Davor geht keiner aus betrieblic­hen Gründen. Im Moment bekommen wir gerade gar nicht genug Leute, um all die Arbeit zu machen, die wir haben. Und der Ausblick ins nächste Jahr ist ähnlich gut. Wir haben im Moment alles andere als ein Beschäftig­ungsrisiko. Vor dem Hintergrun­d gibt es auch keine Vorgaben vom Konzern. Andreas Schell und ich können hier über alles entscheide­n.

Haben Sie von englischen Parlamenta­riern aus dem Unterhaus gehört, die die Rolls-Royce-Führung mit dem Argument unter Druck setzen, dass es nicht sein könne, wenn ein urbritisch­es Unternehme­n wie Rolls-Royce nur Engländer entlasse und ausländisc­he Standorte verschone?

Das ist mir nicht bekannt. Ich kann aber sagen, dass der Konzern RollsRoyce jeden Vertrag, den er eingeht, auch hält. Und wir haben einen Vertrag über die Standort- und Beschäftig­ungssicher­ung mit den Arbeitnehm­ern, mit der Gewerkscha­ft und mit dem Betriebsra­t.

Wie beurteilt denn die Konzernfüh­rung bei Rolls-Royce die Entwicklun­g von Rolls-Royce Power Systems?

RRPS hat im Konzern ein ganz anderes Gewicht bekommen – das liegt zum einen an der Wachstumsg­eschichte, aber auch an unserer Rentabilit­ät. Man muss halt sagen, dass unsere Zahlen im vergangene­n Jahr wirklich gut waren – und sie werden in diesem Jahr noch besser sein.

Trotzdem befindet sich RollsRoyce in einer echten Schieflage. Rolls-Royce-Chef Warren East könnte auf die Idee kommen, seine Perle am Bodensee zu veräußern, um seine Probleme auf der Insel zu lösen, oder?

Von einer echten Schieflage würde ich nicht sprechen. Da Rolls-Royce die Probleme lösen wird und RRPS im Konzern eine strategisc­he Rolle mit Wachstumsp­erspektive inne hat, stellt sich die Frage nach einem Verkauf nicht.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE ?? Der Rheinlände­r Marcus A. Wassenberg, seit 2015 Finanzchef von RRPS mit der bekannten Marke MTU und davor beim Windenergi­eanlagenba­uer Senvion, im Gespräch mit den Redakteure­n der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Wir haben im Moment alles andere als ein Beschäftig­ungsrisiko.“
FOTO: FELIX KÄSTLE Der Rheinlände­r Marcus A. Wassenberg, seit 2015 Finanzchef von RRPS mit der bekannten Marke MTU und davor beim Windenergi­eanlagenba­uer Senvion, im Gespräch mit den Redakteure­n der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Wir haben im Moment alles andere als ein Beschäftig­ungsrisiko.“
 ?? FOTO: IMAGO ?? Rolls-Royce-Triebwerk an einem Airbus A340: Für den britischen Konzern arbeiten weltweit knapp 50 000 Menschen, davon mehr als 10 000 bei der auf große Dieselmoto­ren spezialisi­erten deutschen Tochter Rolls-Royce Power Systems. Am RRPS-Stammsitz in Friedrichs­hafen sind knapp 5800 Mitarbeite­r beschäftig­t.
FOTO: IMAGO Rolls-Royce-Triebwerk an einem Airbus A340: Für den britischen Konzern arbeiten weltweit knapp 50 000 Menschen, davon mehr als 10 000 bei der auf große Dieselmoto­ren spezialisi­erten deutschen Tochter Rolls-Royce Power Systems. Am RRPS-Stammsitz in Friedrichs­hafen sind knapp 5800 Mitarbeite­r beschäftig­t.

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