„In kurzer Zeit ist schon viel geschehen“
Gemeinde Amtzell engagiert sich im Libanon mit Biogasanlagen und Lebensmittelpaketen
AMTZELL - Eine gute Woche ist es her, dass eine sechsköpfige Amtzeller Delegation mit vielen Eindrücken wieder aus dem Libanon zurückgekehrt ist. Ein gutes Jahr ist es her, dass die 4200 Menschen große Gemeinde angefangen hat sich gemeinsam mit den Allgäuer Gemeinden Gestraz, Heimenkirch, Hergatz und Opfenbach im Nahen Osten engagiert. „In kurzer Zeit ist schon viel geschehen“, sagt Paul Locherer, einer der Amtzeller Projekt-Initiatoren.
Heimenkirchs Bürgermeister Markus Reichart war es, der auf den Zug aufsprang, den Entwicklungsminister Gerd Müller ins Land schickte. Jenen Zug, der den Antrieb hatte, Menschen in ihren Herkunftsländern zu unterstützen, „Entwicklungshilfe von unten“zu leisten, Know-How auf kommunaler Ebene weiterzugeben. Reichart suchte Gleichgesinnte in seiner bayerischen Nachbarschaft. „Ich habe das damals in der Zeitung gelesen, ihn angerufen und gefragt, ob da auch Württemberger mitmachen können“, erzählt Paul Locherer mit Blick auf die Vergangenheit. Es war der Beginn einer vernetzten Zusammenarbeit, die sich im kommenden Jahr im Württembergischen auch noch ausweiten wird. Locherer: „Weingarten und Kißlegg werden hinzukommen.“Zwei ehrenamtliche Kißlegger Bürger sowie Weingartens Oberbürgermeister Markus Ewald und eine seiner Mitarbeiterinnen haben sich deshalb ebenfalls vor Ort ein Bild von der Situation im Libanon gemacht.
Riesiges Müllproblem
Amtzell war im Herbst 2017 gleich Feuer und Flamme. Dies galt sowohl für Bürgermeister Clemens Moll als auch für den Gemeinderat.
Das Libanon-Projekt wurde dem Verein „Füreinander – Miteinander“zugeordnet, dessen Vorsitzender
Paul Locherer, Projekt-Mitinitiator für Amtzell
Paul Locherer seit vergangenem Sommer auch ist. Gehandelt wird im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland – und darüber hinaus mit selbst gesammeltem Geld. Den deutschen Gemeinden wurden – je nach Kompetenz und Größe – Gemeinden im Norden Libanons zugeordnet.
Im Falle Amtzells heißt die Gemeinde Rashiine, hat rund 4000 Einwohner und 600 Flüchtlinge – und ein riesiges Müllproblem. „Die Geflüchteten dort leben in ärmlichsten Verhältnissen und sind notleidend“, sagt Paul Locherer. Müllkippen, die man in Deutschland vielleicht noch aus den 60er- oder frühen 70erJahre kennt, verschärfen die Problematik laut Locherer: „Regen, der die Müllberge einnässt, geht ungefiltert in den Boden.“Dies könnte binnen kurzer Zeit zum Bumerang werden und die Trinkwasserversorgung gefährden oder gar unmöglich machen. Genau deshalb geht es in Rashiine um Müllentsorgung und -trennung – und um das Sammeln von Bioabfällen zur Stromerzeugung – ähnlich jener Biogasanlage in AmtzellKorb.
Beim jüngsten Besuch, und damit ein knappes halbes Jahr nachdem eine libanesische Delegation im Allgäu war, wurde eine vom Ravensburger Ingenieurbüro Bojahr erstellte Machbarkeitsstudie an Bürgermeister Marwan Almawi und dessen Gemeinderat übergeben. Von den in Amtzell in jüngster Zeit zusammengekommenen Spenden in Höhe von rund 1800 Euro konnten 40 Lebensmittel-Hilfspakete für 40 notleidende Familien gepackt und an sie übergeben werden. „Im Libanon gibt es viele Tagelöhner“, erläutert Locherer. Gibt es keine Arbeit, gibt es auch keinen Lohn.
Vordergründig geht es den Allgäuern aber mit dem Vorreiterprojekt um das Weitergeben von KnowHow, um den Aufbau an kommunaler Infrastruktur für die einheimische Bevölkerung und die geflüchteten Menschen aus Syrien. Der Bedarf ist groß und reicht von der Wasserversorgung bis hin zur Energieerzeugung oder die Schul- und Wohnraumbeschaffung oder die medizinische Versorgung. Und natürlich geht es auch um den gegenseitigen Abbau von Ängsten durch Begegnung und Kennenlernen der Menschen und Kulturen.
Erste Biogasanlage im Libanon
„Als ich zum ersten Mal dort war, hatte ich noch einen ganzen Rucksack voller Vorurteile dabei“, sagt Paul Locherer. Auf der anderen Seite gab es auch eine große Erwartungshaltung. Schnell aber konnten die Allgäuer vermitteln: „Wir sind nicht die mit dem dicken Geldbeutel, die Schenker.“Projekte auf Augenhöhe sollen es sein – nicht Einbahnstraßen in eine Richtung. „Auch wir wollen lernen“, sagt Locherer.
Im Libanon läuft übrigens im Moment der Bauantrag für die Biogasanlage, eine leicht zu handhabende Kompaktanlage. Locherer: „Dort muss der Staat der Gemeinde erlauben, so etwas zu bauen. Geht der Antrag durch, wäre Rashiine die erste Biogasanlage im Libanon – und selbstverständlich als Leuchtturmprojekt auch interessant für weitere Gemeinden.“Mit Hilfe von Koordinator Christian Renn aus Hergatz hoffen die Amtzeller auf die Förderung durch das Bundesentwicklungsministerium.
Die Völkerverständigung läuft automatisch und so ganz nebenbei. „Wir erfahren viel über Menschen, die wir bislang nicht auf dem Schirm hatten und die uns eine unglaubliche Gastfreundschaft entgegenbringen“, sagt Locherer. Als er erstmals im Nahen Osten ankam, gab es zwei Dinge, die dem Amtzeller Ex-Bürgermeister beim Besuch des Flüchtlingscamps unvergessen bleiben und die er mit „Schock“und „Respekt“gleichermaßen umschreibt: „Schock, wie man seit sieben Jahren so leben muss, und Respekt, weil es die dortigen Kommunen irgendwie schaffen, mit ihren wenigen Ressourcen auch die Flüchtlinge zu versorgen.“Das, was aus dem Allgäu heraus geleistet werde, sei ein „kleiner Tropfen auf einen furchtbar heißen Stein“, meint Locherer.
Aber wenigstens ist es einer. Und in einem zweiten und nächsten Schritt könnten auch andere Projekte angegangen werden, beispielsweise in Sachen Schulinfrastruktur. Die Libanesen habe er als verlässliche Partner kennengelernt, die selbst was tun und intensiv mitarbeiten, meint Locherer. Beeindruckt sei er auch vom guten Miteinander der Religionen.
Nichtsdestotrotz blieb im Libanon für die Amtzeller Delegation mit Imelda Schnell, Verena Mayer, Wafaa Kleiner, Günther Halder und Paul Locherer sowie Ralf Wagner vom Ingenieurbüro Bojahr noch ein bisschen Zeit für einen Besuch der Statue of our Lady of Lebabon sowie der Basilika in Jounieh in der Nähe von Beirut. Dort beteten die Deutschen im Übrigen gemeinsam mit den Arabern das Vater unser. Ein Gänsehautgefühl, beschreibt Locherer. Und danach etwas, was aus jedem Wort seiner Erzählung hervorgeht: „Ich bin beseelt von dieser Arbeit.“
„Ich habe das damals in der Zeitung gelesen, angerufen und gefragt, ob da auch Württemberger mitmachen können.“
„Wir erfahren viel über Menschen, die wir bislang nicht auf dem Schirm hatten und die uns eine unglaubliche Gastfreundschaft entgegenbringen.“
Die SPD Amtzell lädt am Mittwoch, 12. Dezember, 20 Uhr, zu einem Vortrag unter dem Titel „Libanon –Entwicklungshilfe von unten. Kommunales Know-How für Nah-Ost aus dem Allgäu“ins Amtzeller Schloss ein. Paul Locherer wird über die Vorhaben der Allgäuer Gemeinden informieren, beginnend bei den ersten Schritten, die Kontaktaufnahme, Erfolge und Schwierigkeiten bei der Verwirklichung sowie über Zukunftsideen.