Abgeliefert
Mike und Michelle Halder aus Meßkirch sorgen 2018 für bemerkenswerte Tourenwagen-Momente
MESSKIRCH - Barcelona wirkt nach. Noch immer. Als Gaststarter aufgeboten hatte das „Team Hell Energy Racing with KCMG“Mike Halder spät im Oktober; beim Finale der TCREurope-Tourenwagen-Serie sollte der 22-Jährige aus Meßkirch dem Rennstall aus Hongkong zum Team-Europameistertitel verhelfen. Für den Vierten der ADAC TCR Germany hieß das: punktgenau schnell sein – trotz nicht vertrauter Strecke, mit fremder Crew, nicht im eigenen Auto, auf Reifen eines anderen Herstellers. Zudem erlaubte ein nach Steinschlag defekter Kühler genau eine gezeitete Runde im zweiten freien Training. Es gibt bessere Voraussetzungen – für weit schlechtere Resultate: Mike Halder düpierte im letzten Saisonlauf alle 30 Konkurrenten, chauffierte den Honda Civic Type R FK7 TCR zu Tagessieg nebst 25 – titelbringenden – Zählern. „So abzuliefern“, sagt er heute, „das war schon unfassbar.“
„Abgeliefert“hatte Mike Halder 2018 fast immer. 14 Sprintrennen à 30 Minuten sind in der ADAC TCR Germany zu fahren, zweimal vereitelten (durchaus diskutable) DriveThrough-Strafen gute Punkte, einmal ein Reifenschaden, einmal ein technischer Defekt. Blieben: drei Siege, drei zweite Plätze und ein dritter, zwei vierte Ränge noch und ein fünfter. Blieben: gemischte Gefühle. „Der Speed war, übers Jahr gesehen, immer da. So eine Saison wünschst du dir eigentlich ...“Nur: „Mit vier Nullern wirst du halt leider Gottes nicht Meister.“Sondern Vierter (mit 366 Zählern) hinter Harald Proczyk (421), Luca Engstler (414) und Niels Langeveld (403). Da sind dann auch dreimal Pole Position, sind vier schnellste Rennrunden, ist ein perfekt funktionierendes Team Honda ADAC Sachsen eher schwacher Trost: „Zufrieden bin ich nicht, die Meisterschaft war’s Ziel.“
Gelungener Einstand als Teamchef
Geworden ist es ein fahrerisch sicherlich feines Jahr. Ohne die ganz große Krönung zwar, dennoch mit vielen bemerkenswerten Momenten: der TCRSiegpremiere in Oschersleben („das erste Mal ist halt einfach einen Tick besonders“), dem Start-Ziel-Erfolg auf dem Nürburgring („da bin ich mein eigenes Rennen gefahren“), dem spektakulären Ritt von acht auf eins beim Saisonabschluss in Hockenheim („mega-geil!“). Dazu Barcelona. Und: dazu der gelungene Einstand auf Teamchef-Terrain. Im Profi-Car Team Halder lenkte Mike Halders Schwester Michelle ihren Cupra León TCR – als eine von zwei Frauen im TCR-Germany-Feld. Ein „Lehrjahr“, so die Idee, sollte es sein für die 19-jährige Mediengestalterin mit Formel-4-Vorleben. Rang neun der 28er-Hierarchie jedoch zeugt von diversen „Ausrufezeichen. Da“, so der Bruder, „hat sie paarmal das Ding auf den Punkt gebracht.“Mit null Tourenwagen-Erfahrung wohlgemerkt, mit weit weniger Training als das Gros der Kollegen.
Die staunten erstmals in Most, als allein Petr Fulín vor Michelle Halder die karierte Flagge sah. Ein Sieg nach Punkten war das (der Tscheche fuhr außer Konkurrenz) und für die TCRGeschichtsbücher: Podium mit Frau – „was komplett Besonderes“. Bald nicht mehr: Am Sachsenring legte Michelle Halder nach. Die Strecke anspruchsvoll, die Besten nah beisammen. „Du hast in der letzten Kurve noch fünf, sechs Plätze verlieren können. Und wenn du da dann Zweite wirst, obwohl harte Gegner, erfahrene Gegner, mit um den Sieg gekämpft haben, das ist natürlich umso schöner.“Die Gratulation dieser Gegner inklusive; manch ein „Dass man als Frau so fighten kann!“bekam Michelle Halder da zu hören. Sie nimmt’s, sagt sie, als Kompliment. Und hat zwei einleuchtend einfache Erklärungen parat fürs Nicht-abhängen-Lassen. Erstens: „Ich bin ja immer mit Kerlen g’fahren, mit Jungs. Ich kenn’s nicht anders.“Zweitens: „Es ist genau das Gleiche, was wir Frauen machen. Wir können genauso schnell fahren – wenn nicht sogar noch schneller.“
Weit mehr als „im Kreis fahren“
Leichter macht das ein Teamchef, der in der gleichen Serie unterwegs ist, am gleichen Tag unter gleichen Bedingungen die gleichen Kurven meistert, der immens Erfahrung und – als KfzMechatroniker – jede Menge Tipps in petto hat. Leichter macht das Michelle Halders Einstellung: Sie lerne „von Rennen zu Rennen dazu“, also „setzt man sich auch nach einem so tollen Wochenende wie in Most hin, geht alle Daten durch und schaut: Was hätte man doch noch besser machen können. Da arbeitet man immer dran.“Von ungefähr nämlich kommt ein dritter Rang in der Rookie-Wertung (mit Titelchancen bis zuletzt) nicht. „Die TCR Germany ist eine sehr, sehr starke Serie. Das ist nicht nur im Kreis fahren – es sind so viele andere Sachen, die du noch berücksichtigen musst.“
Wer da „abliefert“, hat keinen langweiligen Winter. Mike Halder: „Es laufen Gespräche. Ich denk’, ich werd’ 2019 auf jeden Fall wieder in einem TCR-Auto sitzen. Ob das die Deutsche Meisterschaft ist und/oder Europa, wissen wir noch nicht.“Was Mike Halder weiß: „Ich hab’ jetzt ’nen sehr, sehr guten Namen im Tourenwagensport – auch durch die Europameisterschaft.“Und: „Ziel ist da natürlich, vielleicht nächstes Jahr, aber spätestens 2020 in der Weltmeisterschaft, in der WTCR, zu fahren, die quasi die Formel 1 der Tourenwagen ist.“
Wunsch: Von der Passion leben
Apropos Formel: Speziell für Frauen wird es 2019 die neue W Series geben, mit 18 Starterinnen in identischen Tatuus-T-318-Formel-3-Autos. 55 Namen (von ursprünglich mehr als 100) umfasst die sogenannte Nennliste der Organisatoren, einer ist der Michelle Halders. Demnächst wird sie zu dreitägigen Auswahltests eingeladen – Lohn starker TCR-Germany-Runden. Die könnte Michelle Halder durchaus auch weiterhin drehen. Mit gewachsenen Ambitionen dann. Gespräche? „Laufen. Ich bin offen für alles.“
Und wo in zehn Jahren? Geschwisterlichen Konsens offenbaren die Antworten von Halder & Halder: Spaß solle der Motorsport auch 2028 noch machen, Leidenschaft sein – und möglichst den Lebensunterhalt erbringen. Most tat da gut. Barcelona auch.
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