„Er hat nie vergessen, wo er herkommt“
Oscar-Preisträgerin Caroline Link über Hape Kerkeling, schmerzhafte Kindheitserinnerungen und ihren neuen Film „Der Junge muss an die frische Luft“
Gleich für ihren ersten Kinofilm „Jenseits der Stille“wurde Caroline Link 1998 für den Oscar in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“nominiert. Fünf Jahre später holte sich die gebürtige Hessin die Trophäe für die Romanverfilmung „Nirgendwo in Afrika“. Aktuell hat die 54jährige die Adaption des Romans „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“abgedreht. Aber zuvor präsentiert Caroline Link noch die Tragikomödie „Der Junge muss an die frische Luft“, die auf den Kindheitserinnerungen von Entertainer Hape Kerkeling basiert. Im Gespräch mit André Wesche gewährt die Regisseurin Einblicke in ihre eigene Kindheit.
Frau Link, sind Sie derzeit fleißig am Schneiden?
Beim „Rosa Kaninchen“, ja. Jetzt habe ich schon wieder den nächsten Film abgedreht! Das ist für mich eine ganz neue und ungewohnte Erfahrung, weil ich normalerweise nur alle fünf Jahre mal einen Film drehe. Ich hatte beim „Rosa Kaninchen“schon zugesagt, als ich Ruth Tomas Drehbuch zu „Der Junge muss an die frische Luft“bekommen habe. Ich fand es so schön, dass ich es unbedingt noch vorher realisieren wollte.
Auf den ersten Blick ist ein Film über Hape Kerkelings Kindheit kein typischer Link-Stoff, oder?
Ich finde es jetzt nicht so wahnsinnig anders. Ich arbeite sehr gern mit Kindern. Und es ist eine Familiengeschichte. Das Thema „Familie“kommt ja doch irgendwie immer zu mir. Außerdem hat der Stoff alles, was mir als Regisseurin liegt, dieses Spiel mit einer Leichtigkeit, aber trotzdem auch mit Emotion und Ernsthaftigkeit. In meinen Filmen geht es immer um relativ erwachsene Themen, auch wenn die Protagonisten Kinder sind. Diese Geschichte handelt für mich von einem kleinen Jungen, der tapfer sein und unter großem Schmerz ein tiefes Tal durchschreiten muss. Er ist sensibel genug, um zu erkennen, dass etwas in seiner Familie nicht stimmt. Er will seiner kranken Mutter helfen und beweist einen unglaublich starken Lebenswillen. Dass es dabei um den jungen Hape Kerkeling geht, war für mich gar nicht so sehr von Bedeutung. Aber vielleicht verstärkt es die Gefühle für diesen bemerkenswerten Jungen, wenn wir wissen, dass er einmal einer der bekanntesten deutschen Entertainer werden wird. Es wäre interessant zu sehen, wie man den Film im Ausland aufnimmt, wo man Hape nicht kennt.
Im Umgang mit Journalisten ist Herr Kerkeling eher schwierig. Welche Erfahrungen haben Sie mit ihm gesammelt?
In seinem langen Showbusiness-Leben wird er schon so einiges erlebt haben. Er ist durchaus sehr vorsichtig mit dem, was er von sich preisgibt. Ich habe ihn als extrem kooperativ, warmherzig, offen und liebevoll erlebt. Er hat mich nie unter Druck gesetzt und mich immer zu meiner Interpretation der Geschichte ermutigt. Es geht nicht darum, dass jedes Detail wahr ist. Wichtig ist, dass der Geist dieser Geschichte stimmt und sie in sich eine authentische Kraft entwickelt. Hape Kerkeling war nur ein wenig skeptisch, ob der Film über eine relativ lange Strecke so ernst sein darf. Muss da nicht mal wieder ein Gag kommen? Es war seine Sorge, dass die Zuschauer womöglich aussteigen, wenn es in der Mitte so traurig wird.
Ist die Geschichte vom traurigen Clown nicht fast schon ein Klischee?
Hape Kerkeling hat ein Buch über seine Kindheit geschrieben. Und so war sie nun mal. Es ist nicht so, dass er gleich damit hausieren gegangen wäre und alles an die große Glocke gehängt hätte. Er hat das lange nicht erzählt und sich, so glaube ich, lange selbst nicht damit beschäftigt. Er sagt, dass er von seinen Großmüttern aufgefangen wurde, vor allem von seiner Oma Bertha, die ihn quasi wie eine Mutter aufgezogen hat. Er möchte gar nicht behaupten, dass er alles als so furchtbar, furchtbar endlos schlimm erlebt hat. Für ihn war es gut, diese liebevolle, große Familie zu haben. Irgendwann später hat ihn der Kummer dann eingeholt und er hat dieses Buch geschrieben. Vielleicht war die Beschäftigung mit dieser Zeit eine Therapie für ihn. Ich glaube, dass Hape Kerkeling als Entertainer so gut ankommt, weil er diese glaubwürdige Menschenliebe ausstrahlt. Er begegnet den Menschen auf der Straße mit einer großen Zuneigung. Wenn ihn jemand im Café von der Seite anquatscht und sagt: „Hape, lass mal Foto machen!“, ist er nie überheblich, er sagt immer: „Klar!“. Er hat nie vergessen, wo er herkommt.
Erstmals haben Sie ein fremdes Drehbuch verfilmt. Was war das für eine Erfahrung?
Es liegt mir sehr am Herzen, dass Ruth Toma entsprechend gewürdigt wird. Zum ersten Mal habe ich ein Drehbuch in Händen gehalten, von dem ich sagen konnte: „Das ist großartig, das könnte ich gar nicht so schreiben.“. Ruth ist mit der Sprache so gut umgegangen, sie hat so kurze, knappe, unsentimentale Szenen geschrieben und das Wesentliche wunderbar auf den Punkt gebracht. Auch diese Gratwanderung zwischen Traurigkeit und Leichtigkeit hat sie gut hingekriegt. Jede einzelne Figur hat ihren großen Auftritt. Nun heißt es immer, unser kleiner Hauptdarsteller sei so witzig. Was er natürlich auch ist. Aber letztendlich spricht er die Sätze, die in Ruth Tomas Drehbuch stehen.
Wie kann man sich Ihre eigene Kindheit vorstellen?
Tatsächlich war vieles so ähnlich wie bei Hape. Deshalb kannte ich mich auch einigermaßen gut in dieser Welt aus. Ich komme auch aus der Provinz, aus Bad Nauheim in der Nähe von Frankfurt. In meiner Familie gab es keine Akademiker, sondern eher Macher-Typen. Meine Mutter war Buchhalterin, mein Vater hatte eine Kneipe und später ein Restaurant, in dem meine Mutter mitgearbeitet hat. Eine Oma hat in einem Laden gearbeitet, so wie Hapes Großmutter. Wir waren eine große Familie, die regelmäßig zum Feiern zusammengekommen ist. Ehrlich gesagt, hatte die Fröhlichkeit damals ziemlich viel mit Alkohol zu tun! Und natürlich ging es auch, wie bei Hape, immer ums Essen.
Wollten Sie damals schon zum Film gehen?
Wenn mich früher jemand nach meinem Berufswunsch gefragt hätte, dann wäre meine Antwort immer gewesen, dass ich etwas mit Kindern machen möchte. Ich habe schon immer eine große Nähe zu Kindern empfunden, die es schwer haben. Das ist etwas, was mich irgendwie interessiert. Ich schaue gerne hinter die Fassaden und überlege mir, warum sie so sind. Kinderpsychologie hat mich schon immer interessiert. Nicht die heile Welt, sondern das Problem. Ich glaube, es war Truffaut, der einmal gesagt hat: „Wer nur vom Filmemachen etwas versteht, versteht auch davon nichts.“Ich persönlich muss nicht drehen, weil ich so wahnsinnig gern Filme machen will. Ich will diese Kindheitsgeschichten erzählen.