Weltuntergang auf dem Dorf
Die Welt geht unter. Oder, wie Marret zu sagen pflegt: „De Welt geiht ünner“. Das stimmt erstens und ist zweitens natürlich bedauerlich. Aber selten ist die Welt schöner untergegangen als bei Dörte Hansen in ihrem neuen Roman „Mittagsstunde“. Drei Jahre nach ihrem Erstling „Altes Land“, der – zu Recht – monatelang in den Bestsellerlisten stand, nun also das zweite Werk der norddeutschen Autorin, die den Leser in ihre Heimat entführt. Genauer: nach Brinkebüll, einem fiktiven Dorf auf der Geest in Nordfriesland. Altes Bauernland, über dem sich betonschwere Wolken türmen, „als müsste dieses Land noch flacher werden.“
Hansen erzählt von der seltsamen Marret mit ihren Klapperlatschen und ihrer Unkerei, von Großvater Sönke, der im alten Dorfkrug stur die Stellung hält. Von Lehrer Steensen, der den Bauernkindern das Plattdeutsch austreiben will. Und von Ingwer, der geflüchtet war, um im fernen Kiel Dozent der Ur- und Frühgeschichte zu werden und zurückkehrt in die alte Heimat, die ihn nie wirklich losgelassen hat. Mit derselben Wärme und liebevollen Sorgfalt wie schon im ersten Roman, zeichnet die 54-Jährige ihre Figuren, erzählt von Verschrobenen und Versehrten, von einer Krautund Rübenkindheit, vom dörflichen Leben, das flurbereinigt und frisch geteert ein anderes wurde. Sie beschreibt das alles ohne jedes Klischee und rettet diese kleine Welt ein Stück weit vor dem endgültigen Untergang, dem Vergessen. Ein Geschenk für alle, die sich fragen, was Heimat ist und sein kann.
Dörte Hansen: Mittagsstunde. Penguin Verlag, 2018. 320 Seiten, 22 Euro.