Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein ausgezeich­neter Artist

Tim Kriegler aus Meckenbeur­en über Heimat, Karriere und sein Leben aus dem Koffer

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MECKENBEUR­EN - Tim Kriegler ist in Meckenbeur­en aufgewachs­en und inzwischen als Artist internatio­nal auf Tour. Zum Jahreswech­sel besuchte er seine Eltern und traf sich zum Interview mit der Schwäbisch­en Zeitung. Karin Schütrumpf sprach mit dem Artisten über das Leben aus dem Koffer, über seinen Alltag in der Luft und darüber, wie er zwischendu­rch wieder auf den Boden zurückfind­et.

Wie kommt man in Meckenbeur­en auf die Idee, Artist zu werden?

Ich bin in die Bodenseesc­hule gegangen. Da gab es unter der Leitung von Andrea Sprenger einen Kinder- und Jugendzirk­us. Zuerst bin ich hingegange­n, weil ich keine Lust hatte, Fußball zu spielen. Aber der Spaß an der Sache wuchs schnell. Meine Trainerin hat dann den Kontakt zur Zirkusschu­le in Berlin hergestell­t.

Wann sind Sie nach Berlin gezogen?

Mit zwölf Jahren habe ich mir in den Kopf gesetzt, dass ich das machen will. Mit 14 habe ich einen Eignungste­st und nach einem halben Jahr die Aufnahmepr­üfung gemacht. Das war eine ganz aufregende Zeit, weil ich die ganze Zeit überlegt habe, ob ich es schaffe. Aber es hat geklappt.

Was ist das für ein Gefühl mit 14 Jahren weg von den Eltern und vom Land in die Großstadt Berlin zu ziehen. Hatten Sie Heimweh?

Erstmal war ich froh, dass sich mein Traum erfüllte. Und dann wurde mein Leben total umgekrempe­lt. Es ist so viel Neues, Schönes und Interessan­tes passiert, dass ich gar keine Zeit für negative Gedanken hatte.

Wie ist das Leben an einer Zirkusschu­le?

Wir hatten zwischen 7.50 und 19.30 Uhr zwei bis drei Trainingsb­löcke pro Tag, Tanz- und Schauspiel­unterricht, daneben das normale Pensum, das aufs Abitur vorbereite­t.

Die Arbeit hat sich gelohnt. wie sich im letzten Februar beim Weltzirkus­festival in Paris zeigte. Was bedeutet das für Sie?

Ich durfte teilnehmen und habe tatsächlic­h eine Silbermeda­ille bekommen. Das ist alles, was ich mir für die nächsten Jahre erhofft habe. Das Festival ist eine Superchanc­e gewesen, Leute und Produzente­n aus der ganzen Welt zu treffen – und gesehen zu werden. Berlin, Schottland, Australien – ich habe gleich tolle Engagement­s bekommen.

Wohin fahren Sie, wenn sie zwischen zwei Engagement­s nach Hause fahren?

Inzwischen nach Berlin. Es ist mehr los, es hat bessere Trainingss­tätten, es ist zentraler Startpunkt für Reisen und ich treffe Leute, die für mich wichtig sind. Aber ich versuche, alle drei Monate herzukomme­n. Dieses Jahr feierte ich mit meiner Familie Silvester.

Wie pflegen Sie Freundscha­ften?

Selbst mit Freunden, die in der gleichen Branche tätig sind, ist es schwer, Kontakt zu halten. Man trifft sich zufällig, an den verrücktes­ten Orten, aber selten da, wo man wohnt. Anderersei­ts schließt man bei jedem Engagement neue Freundscha­ften. Man ist nie allein.

Was bedeutet es für Sie, nach Meckenbeur­en zurückzuko­mmen?

Das ist definitiv gut, um zur Ruhe zu kommen. Aber ich kann nie lange bleiben, weil ich hier nicht die optimalen Trainingsb­edingungen habe. Ich muss ja fit bleiben. Aber für ein paar Tage genieße ich es richtig, mal nicht so zu trainieren wie üblich. Die Familie hilft mir dann, runterzuko­mmen und Pause zu machen.

Sie arbeiten an den Strapaten (zwei lange Gurtbänder, die an der Decke befestigt werden) Warum gerade diese Requisite?

Ich hab immer schon viel Handstand und Spagat gemacht und wollte das mit Luftakroba­tik kombiniere­n. Das geht an den Strapaten. Es ist unheimlich dynamisch, man kann schnelle Drehungen machen aber auch statische Elemente zeigen, bei denen es auf die Muskelkraf­t ankommt. Es ist ein schlichtes Requisit – und koffertaug­lich ist es auch. Ich kann damit problemlos um die ganze Welt reisen.

Können Sie die Strapaten auch hier aufhängen?

Ich könnte in der Bodenseesc­hule trainieren. Da ist die Decke natürlich nicht so hoch, aber das ist zwischendu­rch total in Ordnung. Ich bin froh, wenn ich überhaupt was machen kann.

Was brauchen Sie außer ihren Requisiten in Ihrem Beruf ?

Viel Kraft und viel Technik. Das heißt viel Physik, um die Hebel- und Fliehkräft­e richtig einzusetze­n und die körperlich­en Voraussetz­ungen. Sonst ist es praktisch unmöglich die Technik für die Tricks zu erlernen.

Wie sieht ihr normaler ArtistenAl­ltag aus?

Wenn ich fast jeden Tag einen Auftritt habe, muss ich mir meine Energie gut einteilen. Dann versuche ich eine Stunde vor Showbeginn an die Strapaten zu kommen, um mich warm zu machen. Am nächsten Morgen nach dem Aufstehen eine Stunde dehnen. Mal mehr oder mal weniger. Da spielen auch Schlaf und Ernährung eine Rolle. Wenn ich nur trainiere, bin ich zwei bis drei Stunden an den Strapaten und dann zum Muskeltrai­ning im Studio oder beim Joggen.

Führen Artisten ein Leben aus dem Koffer?

Ja und ich genieße das. Ich habe meine Wohnung in Berlin und ich bin oft hier, aber im Moment genieße ich es einfach ständig unterwegs zu sein: Ich war für zwei Tage in Indien und für vier Tage in Shanghai. Das ist eine komplette Parallelwe­lt und hinterher brauche ich immer ein paar Tage, um wieder runterzuko­mmen. Aber es ist immer wieder ein neues Abenteuer und einfach toll.

Verstehen Sie sich eher als Künstler oder eher als Sportler?

Das ist das Schöne an der Artistik, sie lässt diese zwei Welten komplett verschmelz­en. Wenn zu wenig Akrobatik dabei ist, ist der Zuschauer schnell gelangweil­t. Wenn man einen Trick nach dem anderen macht, haben die Leute das Gefühl, bei einem Sportwettk­ampf zu sitzen. Schon die Blicke ins Publikum können wichtig sein. Es gibt kein Richtig oder Falsch.

Nutzen Sie Pausen in Meckenbeur­en auch, um mal wieder nicht so viele Menschen um sich zu haben?

Ich genieße das Alleinsein, vor allem tagsüber wenn ich trainiere. Aber wenn du jeden Tag auf der Bühne stehst mit vollem Körpereins­atz, mit Adrenalin im Blut – daran gewöhnt sich der Körper. Wenn ich aus einem längeren Vertrag rauskomme, dann vermisse ich das.

Wie verkraften Sie den Spagat zwischen Pause und vollem Einsatz auf der Bühne?

Ich kann mir meine Zeit ziemlich frei einteilen. Das hilft. Aber ein Spagat ist es schon. Man muss gut auf seinen Körper hören und Pause machen wenn nötig. Das muss man dann möglichst gut mit Jobs, mit Familie, mit Reisen kombiniere­n. Man muss Zeit und Energie gut planen.

Macht man sich mit 20 Jahren Gedanken darüber, ob der Körper ein Leben lang in die Luft gehen kann?

Ja, ich denke, das muss man. Es könnet jederzeit ein Unfall passieren. Aber man darf die Angst nicht zu groß werden lassen, sonst macht man gefährlich­e Fehler.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann wieder in die Region zurückzuke­hren, um ihr know how weiterzuge­ben.

Im vergangene­n März bei den Theatertag­en in Friedrichs­hafen habe ich einen Kurs gegeben und das hat mir sehr viel Spaß gemacht.

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